Montag, 20. September 2010

Tag 6: Wenn ich da jetzt reingehe, dann bin ich ein Gefühlswesterwelle.

„Rat mal, wen ich vorhin kennen gelernt habe...“
Ich wiederhole den Satz in meinem Kopf. Rat mal. Ja, wen denn?
„Keine Ahnung. Den Weihnachtsmann?“
„Nein. Svenja.“

Svenja! Meine Lippen ziehen sich zusammen, als hätte ich auf ex ein Glas Frosch-Essigreiniger getrunken. Svenja. Meine Lider zappeln. Ich will mir die Aufgewühltheit nicht anmerken lassen. Was lernt sie einfach Svenja kennen? Hallo? Ich hatte mir überlegt, diese beiden Welten ordentlich voneinander getrennt zu halten.
„Nein! Ist ja nicht wahr! Wirklich? Wie kam es dazu? Nein! Erzähl doch!“
Anja zeigt mir den Vogel. „Bist du noch ganz frisch? Was ist denn mit dir plötzlich los?“
„Hä?“
„Hä?“
„Häää?`“
„Torben? Komm mal gerade klar?“
„W...www...wie hast du die denn kennen gelernt? Erzähl mal!“
Ich lehne mich gegen die Wand und lasse mich langsam zu Boden sinken. Anja kniet sich daneben.
„Tiger. Ich wollte mein Fahrrad abholen und als ich es gerade aufschließe kommt sie mit ihrem Typen um die Ecke gebogen und sieht mich an. Natürlich war sie perplex, weil sie ja vor ihrem Typen nicht erklären konnte, wieso sie dachte, dass das nicht mein Fahrrad sei.“
„Ach! Und dann?“

„Dann bleibt sie stehen und starrt mich an, ihr Typ ist sofort total verwirrt und grunzt so ein bisschen fragend herum. Plötzlich fragt sie mich, ob dass mein Fahrrad sei und ich das für meinen Freund abhole, der das da besoffen hat stehen lassen.“
„Du hast was gesagt? Spinnst du völlig? Hast du sie noch alle?“
„Haha, nein, das hab ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass es mein Fahrrad ist und ich es einem Freund borgte, der es besoffen dort hat stehen lassen. Dann haben die beiden genickt und ihr Typ ist in das Haus gegangen. Sie blieb stehen und fragte mich, ob ich dich kennen würde. Nun ja, ich habe sie nicht angelogen. Und du, Torben, die ist nett. Echt. Und hübsch. Diese Augen...“
„Ja, ich weiß...“, seufze ich und starre zur Seite, „... was hat sie denn sonst noch gesagt?“
„Nicht viel. Kram halt. Ich soll dich grüßen. Dann ist sie hoch gegangen. Zum ihrem Macker.“

Zu ihrem Macker. Scheiße. Und Anja mag sie auch. Das passt mir gar nicht. Svenja. Ich sehe sie gerade vor mir und spüre, dass ich zu ihr will, am liebsten sofort. Zu ihr. Ihren Scheißmacker würde ich aus dem Fenster werfen und es würde mir wahrscheinlich sogar reichen, neben ihr zu sitzen. Ich bin verliebt. Scheiße. Zumindest ist klar, dass ich nicht in Martha verliebt bin. Und wenn Martha sich jetzt in mich verliebt hat? Klar, ist bei mir und Svenja ja nicht anders gelaufen. Ich bin total bescheuert. Warum passiert mir so etwas?

„Was soll ich jetzt tun, Anja?“
Ich sehe ihr in die Augen und sie scheint sofort zu merken, was in mir vor geht. Ich zeige auf die Küche und zucke mit den Schultern.
„Ich bin ein Idiot und du solltest mir in den Arsch treten. Du solltest mich da jetzt rein schicken und mir sagen, dass man so mit Menschen nicht umgeht und dass ich erwachsen werden soll. Und dann werde ich dir antworten, dass ich einen Verstand habe und dass es da dieses Gefühl gibt, das mich wie ein Polizeikommando immer wieder aus dem sicheren klugen Leben heraus treibt und mich nackt vor der Haustür an die Wand stellt und anbrüllt, auf mein Gefühl zu hören. Und.... und... hilf mir!“
„Du weißt schon, was Freundschaft ist, oder? Jungchen?“ Ich stutze. „Pass auf. Ich sehe dir in die Augen und ich kenne dich lange genug, um zu wissen, dass du ein Chaot bist und kein Lügner. Martha mag ich, und wir sind gut bekannt. Aber wir zwei hier, wir sind Freunde. Du kennst den Unterschied. Und der Typ. Der Typ. Das wird schwer. Das hab ich gleich gesehen. Den hat sie gerne. Und er sie auch. Nicht dass du am Ende...“

„Und was bringt mir die Küche, wenn ich bei ein Mal „Svenja“ auf dem Boden sitze und grüble? Ist doch nicht richtig. Wenn ich da jetzt reingehe, dann bin ich ein elender Opportunist. Ein Gefühlswesterwelle.“
„Hast du mal Martha gefragt, ob sie dich sofort heiraten will? Ihr hattet Sex und einen schönen Tag. Manchmal bist du aber auf deine verschrobene Art ein Spießer.“
„Komm! Du bist doch selbst die letzte Spießerin.“
Wir lachen. „Wenn du einen Tipp willst, dann geh da jetzt rein. Und ich komme mit. Dann bin ich die Mittäterin. Dann machen wir uns einen schönen Abend und du nimmst dich nicht so ernst sondern spielst das mal gut runter. Und ihr bleibt cool miteinander. Aber lass deine Finger von deiner dicken Hollywood-Nummer. Lass es eine lockere Affäre sein. Und sei ehrlich. Damit können alle leben. Und wenn nicht, wird sie es dir sagen und dir einen Laufpass geben. Morgen kannst du dann immer noch deine Svenja erobern.“

Ich seufze schon wieder. Ich sollte mich langsam für meine Seufzer bezahlen lassen. Ich stehe auf und Anja zieht sich an meinem Arm ebenfalls hoch. Wir nicken uns zu, sie ahmt meine Seufzer nach und lächelt.
„Und kein Wort zu Mars.“
„Never ever!“
„Gut!“
Wir gehen in die Küche, wo bereits drei gefüllte Weingläser auf dem Tisch stehen. Wir nehmen einen kräftigen Schluck.
„Wer ist eigentlich Svenja?“, fragt Martha, als sie sich zu uns um dreht. Anja verschluckt sich und kriegt einen Hustenanfall.
„Eine Lady, mit der ich nicht zusammengekommen bin, weil sie einen Freund hat.“
„Und wenn sie keinen Freund hätte... wärst du dann mit ihr zusammen?“
„Wahrscheinlich.“
„Und wie soll ich das finden?“
„Keine Ahnung, wie du das finden sollst. Ich habe meine Gedankenkontrollkappe vergessen.“

Martha kommt auf mich zu und haut mir auf den Hintern.
„Locker bleiben.“ Locker bleiben. Ich versuche es und zwinker ihr zu, während ich in Gedanken Pläne schmiede, wie ich Svenja erobern werde. Locker bleiben. Das klingt für mich wie ein Freifahrtschein. Oder nicht?
In einer ruhigen Minute schreib ich meiner Lady aus der anderen Stadthälfte eine SMS, in der ich sie um eine Audienz bitte. Währen dessen verbringen wir einen kurzweiligen Abend, wir essen und trinken und gehen aus. Der Club vertreibt alle Sorgen, wir tanzen eng und ich fühle mich breit genug, um auf zwei Stühlen zu sitzen. Breit genug, um Martha und Svenja in meinem Leben unter zu bringen. Ich wähne Anja an meiner Seite. Das wird die Sache für mich einfacher machen. Viel einfacher. Ich fürchte mich bloß vor Mars Reaktion. Er ist ein korrekter Mensch, gewissenhaft, moralisch einwandfrei. Ich glaube oft, dass Anja mit ihm zusammen ist, damit er ein bisschen Struktur in ihr Leben bringt. Ich glaube, viele Frauen wünschen sich das. So wie ich wahrscheinlich eine Frau brauchen könnte, die Struktur in mein Leben bringt. Ein Fulltime-Job. Immerhin habe ich meine WG.

Am nächsten Vormittag lege ich eine kleine Bastelstunde ein. Ich schließe die Tür ab. Ich war jetzt fast einen halben Tag am Stück sehr rational. Im Krieg gibt es keinen Platz für rationale Entscheidungen. Ich binde mir mein altes Karate-Kid-Tuch um die Stirn und grabbel in meiner alten Restekiste nach einer noch älteren Mix-Kassette, schütte das ganze verdammte Ding aus, bis ich eine finde. Ich bemale sie mit Modellbau-Stiften, beklebe die Tape-Hülle mit markigen Liebesbotschaften, die ich aus den herumliegenden Gratis-Magazinen zusammen caste.
Dann spiele ich 20 Mal „50 Ways to leave your lover“ auf das Band, bis es vor Botschaft beinahe reißt. Ich schnappe aus der Schublade ein Duplo und binde aus dem Wickelpapier einen Ring, ich reiße eine freie Seite aus meinem alten „Meine Schulfreunde“-Buch und fülle es in Krakelschrift mit den aktuellen Informationen von mir aus. Was wünsche ich ihr für die Zukunft? „Ein langes und erfülltes Jahr mit mir“
Ein alter Ebay-Karton wird mit weiteren Magazinfetzen beklebt, mit altem Geschenkpapier ausstaffiert und dient als Schmuckkiste für meine Kriegskiste, wie ich sie taufe. Der kleine Plastik-Elefant, ein Button, eines meiner Lieblingsbücher und ein Spritzer Eau de Toilette. Den Spritzer bereue ich sofort, aber daran lässt sich auch nichts mehr ändern. Man muss auch mal da hingehen wo es weh tut, für die Liebe. Ich nicke.

In der Stadt, ich besorge noch „Benny und Joon“ auf DVD, einen Mini-Flasche Wein und zwei Plastikgläser, zwei Blaubeermuffins, lege alles in die Kriegskiste, verklebe sie und stehe um 15 Uhr vor ihrer Tür.
Brrrrt macht der Buzzer. Schnell renne ich dir Treppe hoch, bin so euphorisch, dass ich aufpassen muss, ihr vor Vorfreude meiner kleine Kiste nicht ins Gesicht zu werfen und renne ihrem Typen in die Arme.
„Was hast du es denn so eilig?“, bellt er mich an.
„Ich habe einen hyperaktiven Kreislauf, Mister“, bell ich zurück. „Schilddrüsenüberfunktion.“
Ich will ihn am liebsten gegen die nächste Wand klatschen. Was ist diese Kotkerbe überhaupt hier? Warum hat sie den bestellt, wenn ich sage, dass ich komme? Ich würde am liebsten mein Paket in den nächsten Mülleimer werfen.
Nein Nein Nein.

Durch atmen. Es ist Krieg. Ich muss cool bleiben. Ich grinse den Pinkel an. Svenja kommt aus der Küche und wirkt unglücklich. Sie verzieht den Mund, ich nicke.
„Ich habe dir was mitgebracht...“, sage ich, ohne ihrem Freund eines weiteren Blickes zu würdigen... „für die Hilfe beim Referat!“
„Ach, du bist doch verrückt“, sagte sie und ich merke, wie sie sich zusammen reißt, um nicht vor Freude zu platzen.
Sehr gut. Dann dreh ich mich doch zu ihm, lächle ihn an und denke „Du bist am Arsch, du Penner.“
„Das ist ja schon die zweite Überraschung, heute. Du hast ja 'nen richtigen Lauf, Schatz.“
Ich drehe mich zu ihm. Schatz. Du Penner.
„Aha?“
„Ja, ich hab sie heute auf nen Kurztrip nach Prag eingeladen.“
„Ach wie hübsch.“
Arschgesicht. Du kannst dir Prag in deinen Tuckenjeans-Arsch schieben.
„Ja, ich bin ein echtes Glückskind...“, nuschelt sie und lacht verlegen.
„Wann fahrt ihr denn?“
„Morgen!“, knallt er wie eine kleine Wasserpistole vor meine Stirn.
Svenja erklärt, dass sie kurz Kuchen holen möchte, so wie sie es in der Rück-SMS versprochen hatte. Meine Hoffnung, dass ihr Wackeldackel das Weite sucht, bleibt unerfüllt. Wir sind alleine in der Wohnung.
Zögerlich entwickelt sich zwischen uns ein Gespräch, er versucht immer wieder, herauszufischen, was ich über Svenja denke. Ganz so, als würde er riechen, dass ich so meine Absichten verfolgen. Ich bemühe mich, so wage und platonisch wie möglich zu klingen und zwischendurch erwische ich mich dabei, wie ich einzelne seiner Sätze und Anekdoten sympathisch finde. Der Köter will mich aufweichen, mich mürbe machen.
Ich flüchte auf die Toilette. Dort sitze ich dann und lese immer wieder die wenigen SMS, die wir bis jetzt ausgetauscht haben und hoffe, meine Moral dadurch zu stärken. Fünf Minuten vergehen, zehn. Er klopft an die Tür und fragt, ob alles okay sei. Ich schrecke schräg nach oben und knalle mit dem Gesicht gegen die Kante vom Waschbecken.
„Scheiße!!!“
„Was ist passiert?“, brüllt er von der anderen Seite.
„Scheiße!“, brüll ich zurück, „wer baut so enge Badezimmer?“
Ich blicke in den Spiegel. Kacke. Ein Veilchen. Als ich die Tür auf schließe empfängt mich sofort sein dreckiges Lachen.
„Ach du liebe... was hast du denn da veranstaltet?“
„Ich bin beim Aufstehen mit dem Gesicht gegen das Waschbecken geknallt.“
„Wie doof kann man eigentlich sein?“
„Wie? Doof? Was macht ihr da?“, hallt es aus dem Flur. Svenja kommt mit dem Kuchen rein, sieht mich an, sieht ihren Freund an, lässt den Kuchen fallen.
„Hast du sie noch alle stramm?"

Sonntag, 12. September 2010

Tag 5/4: „Warum trägt das Tier ein Halstuch? Ist der ein schwuler Cowboy, oder was?“

Ihr Fuß gleitet an meinem Bein hoch. Es fühlt sich kribbelig an, sie grinst weiter wie eine neckische Spielkatze aus einem sechziger Jahre Film. Mit oder ohne rotem Halsband, ganz egal, ihr Fuß wandert zu meinem knie, Anja fummelt sich in ihrem Haar herum während sie auf Gesichts-Standby überlegt, wie sie mich jetzt dazu überreden kann, nicht zu Svenja zu wollen.
„Ist doch auch nicht schlecht“, sagt sie plötzlich, „wenn man das mal so überlegt...“.
Marthas Fuß liegt auf meinem Knie als wir beide wie gefesselt und mit offenem Mund zu ihrer herüber blicken.
„Äh?“
„Ja, also wenn ich das Fahrrad hole und Mars nicht da ist...“
„Ääähh?“
Martha tritt mich, Anja will mich auch treten und bemerkt Marthas Bein, die sofort zusammen
zuckt.

„EY! Was kann ich dafür, wenn er es nicht schnallt?“, boxt sie Anja an.
Ich lehne mich zurück und weiß nicht, ob ich mich über die kurze Ablenkung freuen soll oder lieber das Minizeitfenster nutze, um darüber Klarheit zu beschaffen, was ich denn jetzt machen werde.
Svenja, Martha.
Wenn man einen Delphin im Vorgartenplantschbecken hat, wieso sollte man dann noch zum Fischen aufs Dach? Wieso will ich eigentlich immer jagen? Männer sind so primitiv Vin Diesel nach einem Reaktorunglück. Ich stelle mir vor, wie ich mich beim Sex mit Martha in Hulk verwandle, ganz kurz vorm Orgasmus und das Bett dadurch zusammen kracht.
„Urgh!“
„Urgh? Alles klar bei dir, Junge?“
„Hatte schon mal einer die Vorstellung, mit einer Comicfigur Sex zu haben?“
„Ja, mit Wolverine. Das weißt du doch, Mensch“, pflaumt mich Anja an und beginnt zu schwärmen, „RRRRR, Hugh Jackman. Yum Yum Yum.“
„Hugh Jackman? Nein, nein. Viel lieber Gambit, wenn wir schon bei den Xmen sind. Dann wäre ich Rogue. Der könnte mir gerne meine Kartentricks zeigen. Ja, ja.“
Ich haue auf den Tisch. „So, meine Damen: Anja geht heute das Fahrrad abholen und was wir zwei Hübschen machen, das sehen wir dann.“
Beide glitzern mich wie Zuckerelfen an.
„Gut, und wenn ich das Fahrrad hole und ihr mit eurem „sehen wir dann“ fertig seid, dann könnt ihr was für uns alle kochen und so weiter.“

„Kochen! Ja! Ich mach die besten Pirogen der Welt!“, jauchzt Martha, sie klatscht so in die Hand wie ich mir das eigentlich bei einer alten polnische Mama vorstelle, die beim Kuchen backen vor Freude an ihrem eigenen Handwerk begeistert in ihre vollgemehlten Hände klatscht. Doch Martha ist mit keinem Millimeter eine alte polnische Mama. Ihr rutscht das Handtuch runter, sie stoppt es leider kurz vor den Brustwarzen und zieht es wieder hoch. Ich schaue sie fassungslos und erregt an.
„Die besten was?“, greift Anja vor-freudig dazwischen.
„Pirogen. Kartoffelklöße mit Füllung.“
„Geil. Oder? Torben?“
„Äh? Geil? Ja.... Schuldig.“
„Hä?“
„Ja, wir machen das dann.“

Ich erinnere mich an einen Satz von meinem Vater, als er mal von der Arbeit nach Hause kam, ich war auf einen meiner seltenen Heimatbesuche und saß mit meiner Mutter in der Küche, wir redeten über Frauen in meinem Alter.
„Fressen, Ficken, Schlafen. So ein Studentenleben hätte ich auch gerne noch mal, fauler Sack.“
Damals hab ich das noch nicht so ernst genommen, er haut ja oft solche Schoten raus. Eine meiner Freundinnen hatte einen Hund und sie band ihm immer ein rotes Halstuch um. Als wir dann samt Hund auf ein Wochenende zu meinen Eltern fuhren, war sein erster Kommentar „Warum trägt das Tier ein Halstuch? Ist der ein schwuler Cowboy, oder was?“
Und guck uns jetzt an. Den ganzen Tag: Saufen, Feiern, Fressen, Labern. Ein einziges pinkneonfarbenes Sodom und Gomorrha, nur dass wir nicht vor einem Racheengel mit einem brennenden Schwert stehen sondern bestenfalls vor einem Bildschirm mit Darth Vader und Lichtschwert und die einzige Strafe sind länger werdende Werbeblöcke und unsere allgemeine übersättigte Trägheit.
Trägheit?

„Ja, komm Anja, dann zieh dich an und mach dich nützlich!“
„Pass mal auf, die Pascha...“. Sie merkt, dass ich gar nicht zu höre sondern auf Martha starre und mir überlege, was ich tun kann, damit sie nochmal in die Hände klatscht und ihr Handtuch noch ein Mal rutscht.
Gegen all meine Trägheitsvorstellungen beginne ich, mit meinen Fingern auf den Tisch zu trippeln und „Alle kleinen Kätzchen fliegen....“ zu singen, worauf Martha sofort mit einem inbrünstigem „Tüüüüf!“ einsteigt.
Ich tripple weiter auf die Tischplatte ein. „Alle Zuckerelfen mit Handtüchern fliegöööööön...“ und Martha reißt die Arme hoch und lacht laut „HOOOOCH“ und in genau diesem Moment rutscht ihr das Handtuch ab, runter bis zum Bauch. Ehe Martha rot werden oder Anja sich über das Schauspiel wundern kann, bemerken sie mein dreckiges Sieger-grinsen, das zu unterdrücken ich nicht im Stande bin.
„Ich muss weg. Ich muss HIER WEG“, nuschelt Anja, als sie aufsteht und kopfschüttelnd die Küche verlässt.

Ihren Abgang quittiere ich gar nicht.
Ich aber habe gerade nur Augen für Martha und zeige auf ihr Handtuch. „Trägst du das noch, oder kann das weg?“ Sie knurrt wohlwollend.
Wir entschließen kurzer Hand, gemeinsam die Dusche aufzusuchen.
Angespannt wie ein Ringseil marschieren wir schnurstracks herüber, ich schmeiße die Tür zu, die laut knallt und schließe hastig ab, ehe sie mich an eben jene drückt und ihre Zunge in meinen Hals schiebt.
Ich stehe kurz vor der Explosion, meine Finger stehen unter Vollstrom, mein Penis schlägt aus wie ein ausschwenkender Holztransport, ich ziehe ihr das Handtuch herunter. Die Dusche erreichen wir nicht.
Eine Stunde lang tummeln wir uns auf dem Boden, fallen wir immer wieder übereinander her, rangeln, beißen, küssen wir, geben uns immer wieder alles wie zwei gierige Wölfe, die sich nach Monaten in einem verlassenen Wald treffen.
„Wenn du nur halb so gut kochst...“
„Warte es ab, Bursche.“

Eine weitere Stunde später verlassen wir dann halbwegs geduscht und leicht erschöpft das Schlachtfeld um uns in der Küche eine Art Wegzehrung zu gönnen.
Mein Vater ist ein weiser Mann. „Ficken und Fressen“
Innig und so, als wären wir nicht gerade erst aus einer jungfräulichen Bekanntschaft über Nacht in eine Fickaffäre geschlittert, gehen wir innig und pärchenhaft ekelig grinsend einkaufen. Martha gibt mir einen kleinen Exkurs in die polnische Küche. An allen möglichen Lebensmitteln bleiben wir stehen, sie sagt, was man daraus machen könnten und in welchen großartigen, nicht zu überbietenden Varianten ihre Verwandten daraus bereits ein Festmahl gezaubert haben. Sie tritt über die gefährliche Schwelle, sagt mehrmals, dass ich das mal probieren müsste, dass ich irgendwann vielleicht mal mitkommen muss und dass ich ihre polnische Verwandtschaft, deren Trink- und Singgelage sicher mögen würde. Ich sei ja offener als der typische Deutsche. Ich mag das nicht, diese Vorausplanunungsschwellen, über die man nach einem schönen Tag zu zweit so schnell tritt, eine fatale Ader, die ich selber auch immer wieder besitze und mich frage, ob sie unterbewusst nur deshalb passiert, um dem ganzen schönen Moment ein monumentales Fundament zu gießen. Anstatt einfach nur eine Sache zu genießen, wollen manche Menschen alles verprunken und vergolden.
Martha greift nach meiner Hand, als wir am Kühlregal stehen und das Hackfleisch für die Füllung aussuchen. Und ich höre keine Alarmglocken. Es stört mich nicht. Ich sehe mich um, ich versuche, in mich zu gehen und zu horchen, ob mein Herzschlag sich nach einer Erkrankung anhört. Aber da ist nichts.
Verlieben sich hier gerade zwei Menschen? Oder ist das wirklich das Schauspiel, dass zu einer gelungenen Affäre zweier Klassenclowns, Platzhirsche, Verbalpfauen dazu gehört?

Auf dem nach Hause weg scheint die Sonne, ich trage die Tasche, Martha scheint meine Sorgen und Gedanken zu tragen, ich spüre nämlich etwas, was ich selten spüre. Die Wärme der Sonnenstrahlen auf meiner Nase, den Wind im Haar, die Kleinigkeiten, die man immer überhört oder über spürt, wenn man grübelt. Sie lästert über Studienkolleginnen, ich muss immer wieder lachen, während mir der Sommer auf den Pelz scheint. Gerade sind wir eine Festung. Vor der Haustür frage ich mich dann wieder, ob die Festung nur aus Styropor besteht wie die Festungen, die sie für Filme wie Herr er Ringe oder Star Wars basteln. Ob das ein Geschenk ist, wie die kleinen Päckchen, die als Deko am Weihnachtsbaum meiner Eltern hängen und ich als Kind immer enttäuscht war, wenn ich mich nicht zurückhalten konnte und sie auspackte.
Ich sollte dieses Paket nicht auspacken, ich sollte mir den Moment auf die Nase scheinen lassen. Brrr. Ich fühle mich kitschig und greife Martha an den Po. Wir schließen auf, schubsen die Einkaufstasche in den Flur und verschwinden wieder im Bad, bis es irgendwann an der Tür klopft.
Wir liegen auf dem Boden, unsere Haare zerwühlt. Sie steht zuerst auf, zieht sich ihr T-shirt über und huscht durch den Türspalt nach draußen.
Durch das Holz höre ich es raunen.
„Na toll, wolltet ihr nicht kochen? Seid ihr bis jetzt da drin gewesen?“
Was ist mit Anja los?
Scheiße. Vielleicht hat sie wirklich Stress mit Mars? Und wir machen hier die ganze Zeit rum, ohne Rücksicht?
Ich ziehe mir schnell meine Sachen an, fahre mir durchs Haar und komme auch heraus.
„Torbeeeeeen!!! Marrrrtthaaa!! Ich habe Hungeeeeeeer!“

Martha nickt eifrig, schnappt sie den Einkauf und rennt in die Küche, aus der sie brüllt
„Captain Weitzel auf der Brücke, es kann los gehen.“
„Komme sofort“, rufe ich hinterher.
Anja steht vor mir.
Ich fasse ihr auf die Schulter.
„Anja, Schatz. Ist alles in Ordnung?“
„Klar, mit mir schon.“
„Wirklich? Wenn es was wegen Mars ist, kannst du es mir sagen.“
Ich nicke zur Küchentür.
„Das kann auch alles warten.“
Anja seufzt in einer Mischung auf Erleichterung und Amüsiertheit.
„Dachtest du wirklich, ich habe Stress mit Mars? Nein. Ich vermiss ihn nur ein bisschen.“
„Echt... da bin ich... froh, dass das so ist.“
„Aber du, Torben?“
„Ja?“
„Rat mal, wen ich vorhin kennen gelernt habe...“

Sonntag, 5. September 2010

Tag 5/3: Ich stehe vor ihr, Anja zögert, das Donnergrollen der Götter zieht näher, zieht direkt über unserem Haus her. Das muss er sein, ich weiß es.

Einen Atemzug lang ist es Ewigkeit. Ich stehe vor ihr, Anja zögert, das Donnergrollen der Götter zieht näher, zieht direkt über unserem Haus her. Das muss er sein, ich weiß es. Der Zorn.

Anja verzieht ihre Schnute, gleich wird sie ansetzen und mir erklären, was für ein blöder, unentschlossener, feiger, allen ernsthaften Dingen sich nicht aussetzen wollender Idiot ich bin. Meine Unterarme sind überzogen von Hautpartikelstalaktiten. Frösteln.

Sie tritt auf mich zu. Ihre Augen. Ihre Hand fährt aus. Ich zucke zusammen, ziehe mein Gesicht leicht zur Seite und gucke verkniffen. Es ist wie damals, wenn ich eine Backpfeife meiner Mutter in erwartungsvollen Empfang nehmen musste.
"Also... "
"Also...?"
„Du machst das schon, Torben. Du bist ja schon groß.“
Anja lächelt feixend und klopft mir zartherb auf die Schulter.
Mein Blick mimt das Schlussverkaufschaufenster eines Euro-Allzweck-Discounters.
„Keine harte Pause. Go for it, Tiger.“

Sie klapst auf meinen Po, ich stolper zu Martha in mein Zimmer, die es sich auf der Bettkante im Rahmen ihrer Möglichkeiten gemütlich gemacht hat.
Sie raubt mir die Angst vorm Schweigen. „Setz dich!“, bittet Sie mich imperativ und klopft auf die Bettkante, ihre Pupillen halten meine dabei fest wie die Hand des Vaters die Hand seiner Tochter, als sie das erste Mal gemeinsam auf den Jahrmarkt gehen.

Ich lächle und werde rot.
„Wo waren wir, Madame?“
„Da?“
Ihr Oberarm rutscht gegen meinen, stubst ihn an, um keinen Raum für Spekualtionen zu lassen. Ich greife meine Hand und lasse sie über ihn wandern. Sie lächelt ebenfalls, bloß ohne die Röte. Souveräne Lady. Oho. Als sie näher rutscht und ihre Hand über meine Schulter legt, stoppt alles.
„Du zitterst ja?“
Ich rutsche Millimeter weit zurück, nur Millimeter, um ihnen keinen Bedeutungshorizont zu geben.
„Du machst mich... .“
„Nicht schlimm!“

Martha. Ich würde ihr gerne erzählen, wie es sich gerade anfühlt. Nein. Ich würde gerne ihre Augen nehmen und in meine Kopffassung schrauben, damit sie durch meine Augen das Gefühlskino live und in Stereo sehen, erleben, verstehen kann. Sehe mich, wie ein Glasgefäß, gierig und sehnsüchtig und unsicher, ob es die M&Ms, zu deren Befüllung es vorgesehen war, auch aufnehmen kann, ohne zu brechen. Ob es nur um das Befüllen geht oder um das Miteinander von Glas und Schokonussspezialität.
„Reiß dich zusammen“, flüster ich mir ein. Nein, es macht keinen Sinn, ihr so etwas zu sagen. Wenn man so frisch ist, soll man sich nicht mit Sorgen und Schwächen plagen, da soll man die Zeit genießen, oder nicht? Ein ehrlicher Start ist ein bester? Gut, das wäre ja angesichts der Gesamtlage eh nicht mehr möglich. Mein Kopf rattert, mein Herz zattert.

„Ganz ruhig“, sagt sie und lacht. Sie ist gerade so widerlich perfekt. Anja sagt mir oft, meine Eskapaden scheiterten an meinen überzogenen Ansprüchen an die Romantik, der keine Frau, kein Mensch standhalten könnte. Martha aber ist jetzt gerade der Fels in der Romantikbucht. Caspar David Friedrich wäre der perfekte Mann für diese Momentaufnahme. Caspar, du Rocker.
Kuss. Mein Herz rast. Die Lippen suchen sich, dann die Finger, wie öffnen und schnell und lassen uns fallen. Dann lieben wir uns lange und der Schweiß macht uns gleich. Sie ist schön, ich fühle mich so. Wer ist irgendwer, was ist irgendwas? Gar nichts mehr. Gedankenleer liegen wir nebeneinander.
Morgens sticht die Sonne durch das ungeschützte Fenster, ich winde mich zu Seite, die Seite ist leer.
Zwei grübelnde Haarwühler später liegt immer noch keine Martha neben mir. Blick zur Decke.

So viel hatte ich doch gar nicht getrunken? Ich drehe mich zur Seite, richte mich auf. Ihre Kleidung liegt auf dem Boden... gut. Ich schnappe mir eine Jeans und ein Shirt und wandere in die Küche, in der Anja mich mit breitestem Flutlichtgrinsen empfängt.
„Na Champ? War es noch gut?“
„Mhm“, raune ich und gucke in den Kühlschrank.
„Jetzt lass aber mal die Milchkuh auf der Wiese. Alles gut?“
„Ich gucke gerade im Kühlschrank, ob Martha da ist. In meinem Zimmer ist sie jedenfalls nicht.“
„Die ist duschen, du Morgenmuffel-Casanova. Krieg ich Details? Na?“
„Wieso bist du überhaupt schon wach? Bist du nicht ein bisschen zu neugierig für diese Uhrzeit?“
„Es ist elf?“
„Elf?“
„WAR ES GUUUT?“

Ich nicke und sie bohrt mit Blicken nach, bis ihr Stirnfalte pulsiert.
„Atme durch, meine Güte. Es war gut, mit … Martha.“
"Schön soweit. Und du machst dir gestern noch Sorgen... . Wenn du willst, geh ich mir mein Fahrrad dann nachher selber abholen, wenn du mir sagst, wo es steht.“
„Das mach ich schon... sehr nett von dir, trotz alle dem.“
„Nee, du kannst den Tag doch anders nutzen. Mietz. Mietz.“
„Nee. Ich mach das schon. Ich... ich muss ja auch mal für meine Taten Verantwortung übernehmen.“
Anja lächelt kurz.
„Gut, gut. Verantwortung.“
„Verantwortung für was?“
Martha steht im Türrahmen und schaut uns an.
„Wenn man Kühe auf der Wiese hat, muss man sie selber melken und nicht immer die Anja rausschicken.“
„Mit Kühen meinst du Frauen?“
„Mit Kühen meine ich abstrakte Beispiele für etwas, was eigentlich keinen Sinn ergeben soll. Wir reden morgens gerne wirren Scheiß.“
„So So.“

Ehrlich zugegeben war mein zweiter Gedanke nach dem Wach werden, wieso ich denn diese Nacht mit Martha, die ich kaum kenne, geschlafen habe und nicht etwas mit Svenja, die mir auch heute Morgen wieder durch den Kopf spukt. Doch jetzt steht Martha vor mir und hat nichts als ein großes blaues Handtuch aus der Anja-Kollektion um den Körper und nasses Haar, der Pony fällt ihr frech ins Gesicht. Ich schnurre aus Versehen, sie bedankt sich grinsend dafür und drückt mir einen kurzen Kuss auf die Lippen, ehe sie sich zu ihrer Tasse gesellt, die man ihr wohl vor dem Duschgang übereignet hat.
„Hi hi, in dem Tuch siehst du so feucht aus wie ein Delphin!“ jauchzt Anja in ihrer halbschlafenen Kecke. Martha beginnt, sich von oben bis unten selbst zu mustern, während ich daran denke, dass es in den 90ern einen Comedy-Beitrag gab, in dem der junge Timmy eine erotische Beziehung zu Flipper hatte. Ich schaue ebenfalls an Martha runter und taufe mich selber kurz Timmy.

„Was machen wir denn heute schönes? Oder hast du etwas vor?“
„Torben muss nachher mein Fahrrad abholen. Aber ich würde es auch selber machen. Zumindest, wenn ihr was miteinander unternehmen wollt.“
Wie ein Tjostier fährt sie mir in die Planke. Das Stück. Beide sehen sie mich an wie eine DDR Ermittlungskommission. Das ist der kleine Zorn der Götter. Anja muss blinzeln, während sie versucht, mich nicht triumphierend auszulachen. Ich versuche, sie unter dem Küchentisch zu treten, streife aber an Marthas Bein ab, die sofort meinen Fuß beschlagnahmt und mit ihren Zehen streichelt. Sollen mich doch die Götter holen. Ich luge blitzschnell nach oben. Keine Götter. Hm.

Was mach ich denn nun? Kein Götterzorn, vielleicht ein Götterfunke? Kann mir einer sagen, was jetzt mal eine erwachsene, kluge Entscheidung wäre, die ich nicht bereue?
Ich schaue Martha fragend an. Sie grinst.