Dienstag, 31. August 2010

Tag 5/2: Erst verfange mich in einem halbseidenen Têtes-a-têtes mit Svenja und plötzlich bekoche ich eine ganz andere. Der Zorn der Götter naht.

Früher, wenn ich samstags draußen stand und fegen musste, war es meist windig. Oft war es sogar so windig, dass die Nachbarn am Ende tuschelten, es wäre auf dem Hof immer noch genau so staubig wie vorher. Ich hätte dem Chaos bloß meine Handschrift verpasst.

Irgendwann musste ich dann den Rasen mähen, anstatt zu fegen. Ich brauchte dafür länger als mein Vater, was die Nachbarn wegen dem Räsenmäherlärm noch mehr ärgerte, als mich fegen zu sehen. Vielleicht haben sie es dann bereut, dass sie deswegen nicht ihren Mund halten konnten.

Auch meine Eltern bekamen immer eine mittlere Krise, wenn sie sahen, wie ich dann mähte. „Ihr müsst aber nur das Ergebnis beurteilen, nicht die Art, wie ich mähe“, habe ich ein paar Mal versucht, sie zu beschwichtigen. Einestages sagte ich zu ihnen „Ich bin wie ein Parkinsonkranker, der eine Pistole führt. Egal wie sehr ich auch zitter, die Kugel fliegt trotzdem geradeaus.“

Daraufhin haben sie mit dem Kopf geschüttelt. Aber über die Art, wie ich mähte, haben sie nie wieder ein Wort verloren.
Die Woche ist schneller herum, als man drei Mal McDonalds sagen kann. Die Zeit rast, mein Hirn kommt nicht mehr hinterher. Semesterferien sind die Hölle für Leute mit regelmäßigem Lebensrhythmus.
Erst verfange mich in einem halbseidenen Têtes-a-têtes mit Svenja und plötzlich trage ich Einkaufsbeutel nach Hause, um eine ganz andere zu bekochen. Der Zorn der Götter ist mir sicher. Ich habe bloß noch keine Vorstellungen davon, wann er mich treffen wird.
„Übermorgen...“, seufzt Anja mich an aus heiterem Himmel an, als wir die Einkaufstüten nach Hause tragen.
„Übermorgen was?“
„Übermorgen muss ich wieder arbeiten gehen. Ich hasse das. Eigentlich hatte ich gehofft, wir lassen den Laden zu, bis der Boykott vorbei ist, weil eh keine Leute kommen, aber naja. Ich musste nur gerade daran denken. Irgendwie hab ich mich daran gewöhnt, so in den Tag zu leben, nachmittags einkaufen und sowas.“
„Verstehe ich. Na ja, ich habe wohl Glück, mein Chef ist noch bis nächste Woche Mittwoch im Urlaub, ich kann also weiter herum hampeln wie mir beliebt“, spreche ich aus und merke, dass es vielleicht unsensibel war.
„Aber weißt du, Schätzelein, ich komm dann einfach zum Kaffeetrinken zu euch rein und wenn du nichts zu tun hast, kannst du dich ja zu mir setzen und dann üben wir mal Stadt Land Fluss.“
„Oh, das ist lieb! Aber du, Torben?“
„Ja, Anja?“
„Ich habe mich gerade mal gefragt, wo denn mein Fahrrad überhaupt hingestellt hast! Ich brauch das dann am Freitag...“
Scheiße, ihr Fahrrad. Ihr Fahrrad steht bei... genau, bei Svenja. Ich habe es dort vergessen und würde es nicht so öffentlich zugeben. Aber insgeheim war seit dem Gespräch heute Morgen meine neue Hoffnung gewachsen, für ein paar Tage nicht in ihre Nähe zu müssen. Einfach, um erst einmal den Stand der Lage mit Martha auszuloten.

„Glaubst du, der Uniboykott bringt etwas?“
„Lenk' nicht an! Wo ist mein Fahrrad?“
„Das habe ich noch bei Svenja stehen“, nuschel ich kleinlaut, schaue auf den Boden, trete ein Steinchen weg und hoffe, dass ich eine von Niedlichkeit durchhauchte Demutsgeste lande, die sie ein wenig milde stimmt.
„Was? Ach darum hast du das gebraucht. Ach man, ey. Wieso hast du das wieder vergessen? Bei dieser Ollen auch noch! Man, man, man, ich sollte dir gar nichts mehr leihen. Du holst das da morgen sofort ab und dann kannst du die nächste Zeit aber gepflegt zu Fuß laufen.
„Ja, Mutti.“
„Ich gebe dir gleich "Ja, Mutti".“
Anja bleibt stehen, lässt ihren Einkaufsbeutel auf den Boden plumpsen, dreht sich zu mir, stiert mich ernst an und verzieht keine Miene.
„Ich mein das ernst, Torben. Du musst mal zuverlässiger werden. Wenn du in den Tag rein leben willst wie immer, okay, wenn du vergisst, deine Eltern anzurufen, geht mich das nichts an, wenn du deine Bude nicht aufräumst, dein Bier, aber bei mir hört der Spaß auf, ich muss mich auf Freunde wie dich auch mal verlassen können. Du musst mal langsam erwachsen werden.“
Ich nicke kleinlaut und greife ihren Beutel auf.
„Lass mal, ich trage den schon für dich, bis du dein Fahrrad wieder hast.“
Für Außenstehende mag ihre emotionale Eruption wirken wie das ausbrechen von langer Hand aufgestauter Kritik. Allerdings muss ich diese Vorwürfe in freundlicheres Papier gewickelt wöchentlich anhören.

Ich fürchte, sie ist sauer, weil Mars so unvermittelt weggefahren ist, anstatt zu warten, bis sie wieder arbeiten muss. Manchmal ist das komisch, selbst bei den perfekten Pärchen den Putz rieseln zu sehen. Aber ich bin mir sicher, dass in ihrem Fall nur die Tapete mal gewechselt werden muss und dass das Grundgerüst noch steht wie ein deutscher Betonbunker an der Normandie.
Zumindest hoffe ich es stark, denn es gibt mir Halt, die beiden zu haben. Vielleicht aber denke ich auch viel zu viel an mich selber und bekomme nicht mit, ob es allen um mich herum auch gut geht. Vielleicht liegt es daran, dass meine Eltern früher immer alles kontrolliert haben und stets der Meinung waren, sich sorgen zu müssen. Ist es nicht ein Stück Vertrauen, wenn man die Leute manchmal einfach leben lässt?
„Hier...“, sage ich, krame in meinem eigenen Beutel und zaubere zwei von diesen super sauren Kaugummis hervor, „weißt du noch? Die haben wir früher immer gegessen und gewettet, wer zuerst sein Gesicht verzieht.“
Wortlos, aber kopfschüttelnd grinsend nimmt Anja ihres an, wickelt es aus und hält es zwischen den Zähnen, nickt zu mir herüber um den Countdown zu zählen.

3 2 1

Wir kauen beide los und schon nach wenigen Sekunden überkommt mich der innere Zwang einer Ganzkörpermuskelkontraktion. Ich schüttle mich und versuche krampfhaft, dabei ernst zu gucken und nicht mein Gesicht zu verzerren. Aber ich verliere. Genau in diesem kommt ein Typ mit anthrazit-schwarzem C&A-Mantel und Lodenhut auf dem Kopf an mir vorbei, sieht mir ins Gesicht und vermutet, dass mein Blick ihm gilt.
„Was guckste' denn so scheiße?“, will er wissen.
„Ich habe meinen Hut verloren und da hast du bittere Erinnerungen in mir geweckt.“
Bilderbuchsituation, er überlegt gerade noch, ob meine Geschichte wahr ist, doch da bricht Anja in lautes Gelächter aus, lässt die Tasche auf den Boden fallen und haut sich in einer Hockbewegung auf die eigenen Schenkel, während ihr Kaugummi im hohen Bogen aus ihrem Mund geschleudert wird.
„Spinner“, sagt er nun noch ganz kurz und herzlos, schubst mich leicht zur Seite und marschiert mit doppelter Impulsgeschwindigkeit weiter.
Ich drehe mich zu Anja um ihr zu sagen, dass sie ja auch mal langsam erwachsen werden könnte, doch sie fängt sich und mich ab, kommt mit ihren aufgerissenen, tränenunterlaufenen Augen ganz nah an mich heran. Sie scheint mir etwas wichtiges sagen zu wollen. Sie fasst mir an die Schulter.
„BAAAAAAAHAHHHHAHHHAAHHHA, ICH HABE MEINEN HUT VERLOREN? BAAAAHAHHHHAHAHAHA“.
Den ganzen restlichen Weg nach Hause kriege ich kein Wort mehr raus, während sie ein ums andere mal von einem brüllenden Lachintervall heimgesucht wird, stehen bleibt und unter Tränen diesen Satz wiederholt.
Nachdem die Einkäufe, ausgepackt, einsortiert und die nötigen Kochutensilien für das, wie wir es nennen, Kürbismassaker zurecht gerückt sind, drückt mir Anja das Haustelefon in die Hand.
„Nummer ist gewählt, ruf sie an.“
„Wie jetzt, ruf sie an?“
„Ja, ruf sie an. Die freut sich, sag, wir wollen kochen und das es ja so nett war und dass du sie gern sehen willst.“
„That easy?“
„Tu nicht so schüchtern. That Easy! Wir haben eh schon über dich gesprochen, du rennst da keine verschlossenen Tore um.“
Ich rufe also bei Martha an und sie scheint kein wenig überrascht, mich zu hören und willigt schnell ein, was mir Sorgen bereitet, denn ich weiß nicht nur Gutes über Frauen zu berichten, die so unverfänglich einfach sind.
„Sie kommt in einer halben Stunde. Und jetzt erzähl mir mal, was ihr denn bitteschön über mich zu reden habt?“
„Ach, sie hat halt nur gefragt, was du so für einer bist und ob es denn ein großes Risiko wäre, sich mit dir einzulassen.“
„Mit mir sich einlassen? Ob nicht noch ein Wörtchen mitzusprechen, ich habe?“
„Ja, Meister Yoda, aber es war nur mal so tendenziell in den Wind gefragt, wie da so die Aktien stehen und die drohenden Kursverluste und so weiter. So macht ihr Männer das doch auch.“
„Ja, aber unsere Wortwahl ist anders.“
„DEINE Wortwahl ist anders. Das sagt sogar Mars“

„Jetzt fällt mir auch noch Mars in den Rücken? Gegen mich, die ganze Welt ist, die dunkle Seite der Macht stark jetzt, in der WG sie ist.“
„Die ganze Welt ist für dich, nur du kleiner Einzel-Jedi flüchtest bei jedem Anflug von Zuneigung gleich, weil man dich mal auf etwas festnageln könnte.“
„Papperlapapp, da diskutiere ich gar nicht drüber! Ich weiß schon, was gut für mich ist... aber ich bin trotzdem froh, dass ihr euch kümmert... meistens“
Einige Minuten später, als die ganze Wohnung allmählich nach Kürbiskartoffelauflauf riecht und ich fünf Mal zugeben musste, dass es wohl tatsächlich Gerichte mit Kürbissen gibt und dass Anja die beste Köchin der Welt ist, um mein Ohr zu retten, klingelt Martha und es herrscht bei uns religiöse Heiterkeit, so, als sei gerade das goldene Kalb eingetroffen.

Überschwänglich nehme ich ihr die Jacke ab und führe sie zu Tisch und wir reden alle hektisch und wild durcheinander, lachen unnatürlich laut und unserer aller Blicke gehen wild durch den Raum als würden wir uns ein Sichtlinienlichtschwertduell liefern. Es kommt alles auf, bloß keine Gemütlichkeit. Ich fühle mich ein wenig wie bei einem, so stelle ich es mir vor, Vorgespräch zu einer arrangierten indischen Hochzeit, nur haben wir keine Punkte auf der Stirn.
Punkte hat Martha auf der Bluse, genau genommen zwei, es sind die Knospen ihrer Brustwarzen, die hervorstehen und ganz dezent den Stoff anbohren, vermutlich, weil wir das Fenster während des Kochens auf Kipp gestellt hatten und es nicht mehr schlossen. Während die beiden Damen längst ihre erster Portion verputzt haben, rutsche ich nervös hin und her, damit es sich in meiner Hose nicht allzu unbequem sitzt und hoffe, dass mein kleines Problem nicht bemerkt wird und vor allem Martha nicht mitbekommt, dass ich ihr die ganze Zeit auf die Nippel schaue und an alles denke, nur nicht an Kürbisauflauf.
„Sag mal, musst du dringend auf Toilette?“, fragt mich Anja plötzlich und lächelt mich mit dämonischer Unschuld an. Sie wird doch hoffentlich nicht ahnen, was los ist? Aber dafür ist auch sie gerade zu verwirrt. Also nutze ich die günstige Gelegenheit und stehle mich geschwind an den beiden vorbei, eben so, dass sie keinen Blick auf meine Hose werfen können und verschwinde im Badezimmer.

Da steht das kleine Zirkuszelt und ich versuche mich redlich abzulenken, ich denke an Johann Lafer mit seinem Bibergrinsen und ich denke an Kürbisaufläufe und wieder an Johann Lafer, Kürbisse, dralle pralle runde Kürbisse mit her vorstehenden Nippeln. Martha. Martha ist verdammt noch mal heiß. Das Gegenteil von Abkühlung passiert, aus der Gartenlaube meiner Jeans wird ein Partyzelt. Ich öffne meine Hose und es passiert, was passieren muss. Ich nasche an Marthas Knospen und wir bepflanzen ihren Garten. Nach drei Minuten ist das Fest vorbei und mein Kopf wird klar, während ich mir die Hände und mein Gesicht wasche.
„Na?“, sagen die beiden, als ich zurückkehre. Sie haben sich derweil wohl langsam in ein Gespräch hinein finden können.
Ich setze mich, seufze kurz und in genau diesem Moment scheint Anja die Situation begriffen zu haben, wird kurz rot und zwinkert mir dann zu.
Dann steht sie auf und greift nach dem Telefon.
„So, ihr Hübschen, ich werde mal mit Mars telefonieren“ und verlässt die Szene.
Alleine mit Martha.

„So, Torben Sunev. Sunev! Was ist denn das genau für ein Name?“
„Das glaubst du mir eh nicht, wenn ich dir etwas dazu sage.“
„Doch, bestimmt“, sagt sie, etwa zu zahm für meinen Geschmack, also versuche ich gar nicht erst, zu diskutieren und antworte.
„Mein Vater kam nach Deutschland, als er noch sehr jung war, mit fünf oder sechs. Seine Eltern hat er dann sehr früh verloren und ich weiß nicht, wieso, er hat dann alles versucht, um seine Vergangenheit zu vergessen und auch uns gegenüber nie erzählt, was mit seinen Eltern war oder auch nicht und wo sie eigentlich her kamen. Für ihn war es immer nur wichtig, dass wir wissen, wir seien Deutsche und nichts anderes und das Sunev nur ein Name sei wie jeder andere und keine Bedeutung für uns haben soll. Na ja, er hat es auch gehasst, wenn Menschen ihn danach fragten, was das für ein Name ist und ihn loben wollten, dass er für einen Ausländer ja sehr fließend deutsch spräche und keinen Akzent habe.“
Martha starrt mich kurz an, scheinbar überfordert mit der Situation.
„Das ist echt mal krass. Eine ganz andere Erfahrung als ich mit meinem habe, der heißt Waldemar Weizel und ist ganz stolz, ein Pole zu sein und uns versucht er immer zu erklären, wie wichtig es sei, seine Spuren und seine Identität nicht zu verlieren. Aber ich sehe das irgendwie anders.“
Jetzt bin ich überrascht. „Ja, wie siehst du das denn?“
„Weißt du, ich finde, dass die Identität, die wir haben durch das bestimmt wird, was wir selber tun und denken und nicht durch unsere Eltern oder unsere Herkunft. Natürlich leisten die ihren Beitrag, aber mehr auch nicht. Man braucht schon Mut, ja, aber am Ende bist du selbst für dich verantwortlich und wenn man Geschwister hat, so wie ich, dann merkt man ja auch, dass trotz ähnlichen Bedingungen die Menschen an sich schon etwas ganz eigenes mitbringen, dass sie durch das Leben trägt, dass vielleicht beeinflusst, aber nicht gelenkt werden kann. Außer sie sind eben die Menschen, die sich vom Charakter sowieso lieber lenken lassen.“
Ich lächle.

„Ja, das sehe ich genauso. Wirklich. Krass, ich habe das so noch nie aus dem Mund eines anderen Menschen gehört. Ich kenne auch so diese Gedankenspiele, die man als Kind schon hat, was man mal machen will, wie man wohl werden wird, egal, was man zu diesem Zeitpunkt für Anlagen hat. Ich habe früher oft gesagt, dass ich, wenn ich groß bin...“. Ich stoppe.
„Wenn ich groß bin... ja?“
„Das erzähl ich dir ein anderes Mal, nicht jetzt, das ist glaub ich noch zu privat.“
„Versprichst du?“
„Eine Freundin hat mal zu mir gesagt, dass es keine Versprechen gibt, die man auch halten kann.“
„Siehst du das auch so?“
„Ich weiß nicht, aber ich gehe auf Nummer sicher. Wenn es einen passenden Zeitpunkt gibt, werde ich es dir sagen.“
Scheiße, jetzt sind wir von Hundert auf null abgestürzt.
Aber Martha fängt die Situation auf und beginnt, von ihrer Kindheit zu erzählen und es sind schöne Anekdoten aus Polen, eine niedliche Kindheit, ich bekomme den Eindruck sie ist ein herzlicher Mensch, ein warmer Mensch. Und ich fühle mich in ihrer Gegenwart wohl. Immer wieder lachen wir und es vergeht eine Stunde, ehe Anja in die Küche kommt.
„Na, ihr zwei, habt ihr Spaß?“, fragt sie und wir beide grinsen sie bloß an.
„Gut, gut. Darf ich Martha kurz entführen?“
„Aber nur kurz“ sage ich und während die beiden den Raum verlassen, beginne ich, den Tisch abzuräumen und etwas Schokolade bereitzustellen, öffne einen Wein.
Mein Handy vibriert.
„Hey, Torben. Dein Fahrrad? Svenja.“
„Ich hole es morgen ab“, schreibe ich zurück.
„Sehr schön, ich freue mich sehr auf dich. Tut mir Leid, wegen meinem Dawsons Creek Anfall gestern Nacht. Der Alkohol... bis morgen.“

Ich schlucke.
Anja kommt kurz an der Küche vorbei gehuscht, als sie mich so da stehen sieht.
„Alles okay, Torben? Es läuft sehr gut mit Martha, oder?“, feixt sie mich an.
„Das tut es, ja.“, bemühe ich mich, zu lächeln.
„Das ist schön, wirklich.“
„Sag mal, wärst du mir böse?“
„Böse? Weswegen böse?“
„Falls ich es vermassele?“
Sie schweigt kurz, während ich den Zorn der Götter grollen höre. Ist dies vielleicht der Untergang des Abendlandes?

Sonntag, 22. August 2010

Tag 5: So sitze ich dann alleine in der Küche und stochere auf zwei traurigen Scheiben Toastbrot herum

Vor mir liegt ein Haufen an Fragen. Das erinnert mich an meine Kindheit. Samstags habe ich es gehasst, aufzustehen, weil ich wusste, ich müsste den Hof fegen, das Laub oder einfach den Staub von einer ganzen Woche zusammenfegen.

„Damit die Leute nicht gucken“, hat meine Mutter dann gesagt. „Und wenn sie gucken, was dann?“, habe ich geantwortet, worauf sie mir schnippig mit „Werd’ mal nicht frech“ über den Mund fuhr, ich aber erst recht frech wurde.

Ich malte ihr aus, wie schön es doch wäre, wenn ich all das Laub eben nicht wegfegen würde und es sich mit dem Staub vermischte und dann der Wind käme und es vor die Häuser der ach so feinen Nachbarn wehte. „Die müssten dann alle vor ihrer eigenen Tür kehren“, sagte ich dann zu ihr „jetzt weißt du auch, woher der Ausdruck kommt.“

Meine Mutter führt ein spießiges Leben, weil sie es hasst, wenn die Leute etwas denken könnten. Dabei denkt sie selbst am meisten nach. Das wiederum habe ich von ihr geerbt.
Aber bin ich spießig?

Es ist jedenfalls nicht Samstag, ich bin auch kein Kind mehr, mein Elternhaus ist in weiter Ferne und anstelle von Staub und Laub liegen vor meiner Haustür nur Fragen. Vielleicht sollte ich sie zu Anja rüber fegen, damit sie mir damit helfen kann.

Ich fasse an meinen Kopf. Kein Kater. Komisch. Ich schlief nicht wie ein Stein, ich schlief nicht mal wie ein Wattebausch, das davon träumt, mit einem Stein auszugehen. Ich habe einfach ganz normal geschlafen. Das bereitet mir Sorgen, nicht gesundheitlich, eher emotional. Fang ich jetzt schon damit an, dass mir Dinge egal werden? Dann würde ich ja jetzt nicht darüber nachdenken. Bevor in meinem Kopf wieder eine Gilmore Girls Folge beginnt entschließe ich mich für das Richtige: Frühstück.

So sitze ich dann alleine in der Küche und stochere auf zwei traurigen Scheiben Toastbrot herum, während das Frühstücksfernsehen mir attraktive und gewagte Dekotips für den nahenden Spätsommer näherbringen möchte. Gewagte Dekotips. Was an bunten Kürbissen gewagt ist, frage ich mich glaube ich zurecht. Ich weiß garnicht, wieso wir Deutschen Kürbisse zum dekorieren benutzen, aber man nirgends Kürbisse zum Essen sieht, mit Ausnahme der Tütenkürbissuppe von Maggi und manchen Folgen vom perfekten Dinner. Ob die Tütensuppe allerdings wirklich nach Kürbis schmeckt, davon habe ich keine Ahnung, Vermutlich nicht. Und gewagt ist es wahrscheinlich, weil wir Lebensmittel zum dekorieren benutzen, die in anderen Ländern Kinder vor dem Hungertot bewahren könnten. Nächstes Jahr an Oster dann gewagte Dekotips mit Aidsmedikamenten und Trinkwasser.

Marcel Reich-Ranicki hat einmal im Fernsehen auf die Frage, was er zu den olympischen Spielen in China sagen möchte, geantwortet, dass zu viele Menschen über Dinge sprächen, von denen sie keine Ahnung hätten. Ich habe ihm da sofort grinsend Recht gegeben, doch jetzt gerade, wo ich hier so alleine vor dem traurigen Toast sitze, den nur noch eine ordentliche Scheibe Kinderwurst retten würde und mich selbst innerlich sprechen höre, glaube ich, wenn wir das so wirklich streng durchsetzten, dann müsste ich meinen Kopf zu Gunther von Hagen schicken, damit er ihn mit Plastinade füllt. Wenn du willst, dass etwas ordentlich getan wird, lass es jemanden tun, dem man alles zutraut. Und die beiden Werbeflächen der Kosmetikindustrie im Frühstücksfernsehen müssten sich einen neuen Job suchen.

Aber ich mag das Geschwätz über Boris Beckers neue Freundin und Johann Lafers Vollkornbrotüberraschung und wenn es mich interessiert, dann hat es eine Daseinsberechtigung. Oder etwa nicht?

„Denkst du wieder über Schwachsinn nach?“, höre ich Anja plötzlich sagen, als sie links an mir vorbei in Richtung Kühlschrank zieht und sich ein Mango-Lassi herauszaubert. Ich möchte zu gerne wissen, wie sie das wieder gemerkt hat, aber den Sieg gönne ich ihr nicht.

„Das würde ich nie tun. Ich träume nur davon, dass Johann Lafer mal morgens für uns das Frühstück machen könnte. So einen eigenen Johann Lafer, der wie der Dentagard-Biber grinsend den ganzen Tag für uns kocht. Das wäre doch super.“
„Aber wir haben doch Mars.“
„Aber Mars ist doch gestern zu seinen Eltern gefahren?“
„Ja, und er meinte, du hättest dich auch verabschieden können, aber du warst ja zwischendurch weg.“
„Ich habs verpeilt.“
„Du Verpeiler. Du bist die ganzen letzten Tage ein bisschen abwesend“, sagt sie und setzt sich zu mir an den Tisch. „Was ist denn überhaupt los, Schatz? Ich bilde mir ein, du wolltest mir da noch etwas groß und breit erklären, wegen gestern?“

Jetz hatte ich gerade mit Hilfe des Fernsehers meinen Fragehaufen beiseite geschafft, da wühlt sie ihn wieder auf. Nagut, dann wird sie auch beim Abtragen helfen.

„Aaaaaalso“, beginne ich und fange an, ihr die vertrackte Situation detailliert und minutiös darzulegen, merke, wie ich selber manchmal erneut ins Schwärmen gerate, mir an manchen Stellen selbst auf die Schulter klopfen könnte. Und es wird mir bewusst, wie verzwickt die Angelegenheit für mich ist. Svenja vermeidet wirklich immerzu, Tom mir gegenüber auch nur zu erwähnen.
„Hmmm... “, raunt Anja dann in meine Richtung, als ich ihr den Gesamtüberblick präsentiert habe. „Hmmm…?“, raune ich fragend zurück, „du bist die Frau, erkläre mir, was da Sache ist.“
„Jetzt weiß ich zumindest, wieso du der Martha abgesagt hast.“
„DAS ist das Erste, was dir dazu einfällt?“
„Klar, ich hab die beiden doch extra wegen dir eingeladen, du Schnösel. Was dachtest du denn, warum sie direkt so offen war?“
„Das hättest du mir auch mal vorher sagen können?“
„Du lässt dir doch nie etwas sagen!“
„PA! Also bitte? Ich leg dir hier die ganzen vergangenen Tage offen wie meine Brust und du fährst die Krallen aus und kratzt drüber anstatt mir zu sagen, ob die Verletzung tief geht oder ober das alles nur oberflächlich ist und ich mich unnötig sorge.“
„Was wirst du denn gleich so melodramatisch? So kenn ich dich ja garnicht! Ich fand das halt schade. Die würde gut zu dir passen, sie hat mir auch hinterher gesagt, dass sie dich mag. Aber naja. Und überhaupt, was glaubst du denn, wieso wir alle euer Geflirte ignoriert haben? Damit da mal was passiert!“
„Geflirte? Ich habe doch garnicht…!“
„Torben. Jetzt spiel hier mal nicht das kleine Schaf von der Wiese.“
„Man. Ich weiß auch nicht. Aber hier. Zurück zu Svenja. Ich mag sie. Wirklich. Irgendwie. Du musst mir mal helfen! Was soll ich tun?“

„Ganz ehrlich? Punkt eins. Ja, ich weiß, du bist im trotz deiner nervenzerhäckselnden Gedankenklauberei ein guter Mensch und wenn du sie wirklich magst, wenn das wirklich so gelaufen ist, wie du es mir schilderst, dann ist sie vermutlich auch ein guter Mensch. Punkt zwei. Wenn sie auch ein guter Mensch ist, dann ist Tom bestimmt kein schlechter Mensch. Das führt zu Punkt drei. Dann nämlich wird sie ihn sicher nicht leichtfertig verlassen. Selbst wenn sie dich mag, und es scheint mir schon so, als ob sie dich mag, stehen die Chancen beschissen. Beschissen, Torben. Nicht, weil mit dir irgendetwas nicht stimmen würde, sondern, weil man jemanden, mit dem man zusammen ist, nicht wegen einem noch so spannenden Menschen mal eben verlässt. Vielleicht ist sie ja verwirrt? Vielleicht hat sie das ja auch alles überrascht? Dich hat es ja auch überrumpelt.“
Ich überlege. Ich überlege wirklich hart. Zwei Minuten, fünf Minuten, immer wieder will ich zu einem Satz anlegen, breche aber erneut ab. Am liebsten würde ich mich auf den Boden schmeißen, mit beiden Händen auf die Fliesen trommeln und brüllen „Aber ich will!“.

Das hat vielleicht bei meiner Mutter früher funktioniert, damit die Leute nicht gucken. Aber der Welt ist es egal, ob die Leute gucken.
Ich seufze.

„Torben. Du weiß, dass ich dich liebe und dass ich dir das nicht sagen würde, wenn ich dächte, es gäbe auch eine andere Wahrheit.“
„Und du bist dir da sicher?“
Anja nickt und schiebt ihre Hand auf meine. Ich kneife die Augen kurz verbissen zu. Dann lächle ich sie an.
„Also Martha?“, sage ich.
„Ganz bestimmt“, antwortet sie.
„Ich habe dann für den Moment nur noch eine weitere Frage, die mir auf dem Herzen brennt, Anja. Und du musst bitte ehrlich mit mir sein.“
„Immer doch, Schatz. Was ist denn?“
„Was ist daran gewagt, mit Kürbissen zu dekorieren und warum werden die nirgendwo zum Essen verkauft?“
„Aaaaaaaah! Torben Sunev!!! Du bist… du bringst irgendwann nochmal alle in die Klapse!“
„Aber mal ehrlich, sag es mir.“ Ich bemühe einen unschuldigen, naiven Häschenblick.
„Kürbisse gibt es überall zu kaufen, du musst nur mal deine Augen aufmachen. Weißt du was? Wir gehen gleich mal in den Supermarkt und schauen, ob es welche gibt und dann gucken wir, was wir damit kochen.“
„Und dann lädst du Martha zu uns zum Essen ein?“
„Nein, das machst du mal schön selbst!“
„Oke!“
„That’s my boy.“

Sonntag, 15. August 2010

Tag 4/3: Einmal Svenja und zurück?

In meine Gedanken und Erwägungen verhaftet klebe ich in einer Bierpfütze fest, weiß nicht vor oder zurück, während mir mein Schweiß den glühenden Rücken runterläuft, weiterer fremder Schweiß von der Decke tropft, auf meine Stirn trifft, ich zusammenzucke und ihn wegwische.
Sie kommt auf mich zu. Schnurrstracks. Sie schaut mir in die Augen. Direkt. Dieses Stück.
Der ICE des vorzeitigen Romanzenabbruchs rast auf mich zu, während ich ratlos auf dem Gleis klebe. Sie will mich überrollen. Zu Ende bringen, was sie Samstag nicht geschafft hat.
Komm schon Baby, gibt mir den Rest. Schlag zu.
Ich muss grinsen.

„Hey!“
„Hey!“
„Hey. Ich habe deiner Freundin gesagt, dass ich kurz mit dir alleine reden will. Sie hat mich erst abwiegeln wollen, ich habe ihr aber dann erzählt, dass wir uns schon länger kennen und eine Ewigkeit nicht gesehen haben.“
„Okay?“
„Wegen Samstag…“
„Ja?“
„Tut mir Leid. Das mit dem Arschloch. Ja, du warst ja wirklich besoffen und darauf hab ich ja auch keine Rücksicht genommen. Und jetzt seh ich, du hast ne Freundin. Das ist Svenja?“
„Ja…“
„Weißt du, ich habe nen Freund und wenn ich daran denke, was ich da für eine Scheiße gebaut habe. Das ist echt Mist. Ich wollte das garnicht. Hm. Also, ich will dir nicht drohen, ich versprech dir, ich behalt das für mich. Das mit Samstag…“
„Aber?“
„Ich würde mir wünschen, dass du es mir auch nicht krumm nimmst und es auch für dich behälst. Weißt du, ich will keinen Stress mit meinem Freund. Du weiß ja, wie diese Stadt ist... Das ist ja auch für uns beide das Beste. “
Ich weiß es. Aber hey. Was tut sie hier? Wie absurd. Wie absolut undenkbar war das denn jetzt gerade? Klar war ich besoffen, aber ich sollte doch noch Herr meiner Taten sein? Sie nimmt die Schuld einfach auf sich, ohne mir etwas Verantwortung zu lassen. Ich glaube, sie hat einfach wirklich Angst um ihre Beziehung. Wenn die Beziehung beständig ist, wieso geht sie dann fremd?
Hmm.
„Kein Ding. Wirklich nicht. Für mich ist alles cool!“
„Wirklich?“
„Ja. Vergessen wir’s einfach. Shit happens.“
„Danke. Wenigstens ist nichts gelaufen. Machs gut, du!“

Was? Es ist garnichts gelaufen? Oh man.
Da geht sie hin. Weg. Mist. Ist wirklich NICHTS gelaufen, oder war das nur ein Spruch? Was ist passiert? Hab ich mir umsonst Sorgen gemacht? Ich bin ganz verwirrt. Wieso steh ich überhaupt hier? Svenja. Ja.

Ich schiebe mich durch die Menge nach draußen. Da sitzt sie auf der Mauer, ganz alleine mit der Nacht und nippt an ihrem Bier. Sie sieht friedlich aus, als wäre sie Teil der Nacht, als wäre sie ein Gemälde, dass ich jetzt nicht zerstören sollte. Aber ich bin so, ich muss an der Welt herummalen, herumschrauben. Menschen sind so. Ist die Liebe bloß Kunst, die an der Wand hängt und wir stundenlang davor sitzen und seufzen? Oder ist sie der Kuss, der befreiende Kuss nach einem heißen Tag, einer Gewitternacht im drohenden Morgen? Der Kuss, den wir dem Schicksal abnötigen wollen? Was für Gedanken.

„Na du?“, sage ich und setze mich zu ihr.
Sie hebt ihren Blick in Richtung Sterne und nippt an ihrem Bier.
Dann legt sie ihren Kopf an meine Schulter.
„Ist dein Gespräch beendet?“
„Ja, sonst wäre ich nicht hier.“
„War es denn so wichtig?“
„Ich finde, hmm, naja. Was ist schon wichtig?“
„Das kommt auf den an, der spricht.“
„Oder auf den, der fragt.“
„Oder so. Ja. Früher hatte ich Angst vor dem Erwachsenwerden. Alles zu wissen stellte ich mir schrecklich vor. So ernst und langweilig. Ich hatte Angst, ich könnte meine Freiheit verlieren. Weißt du, als Kind, als Jugendliche, da heißt es dann immer, man sei ja noch ein Mädchen und Vieles wird einem so einfach verziehen, weil man davon ausgeht, dass es aus Erfahrungsnot heraus geschieht. Aber jetzt beginne ich zu merken, dass ich allmählich erwachsen werde. Und die Fragen beantworten sich nicht einfach, es kommen neue Fragen, weitere Fragen. Und manchmal, da habe ich das Gefühl, die Freiheit, die wir noch haben, wenn wir älter werden ist, nicht auf alles eine Antwort zu finden. Nicht alles beantworten zu müssen.“
Dann sitzen wir zehn Minuten lang einfach da. Ich möchte garnichts sagen. Es sind ihre Gedanken, die die Luft füllen, es ist ihr Moment. Ich fühle mich wie ein Glas, dass gefüllt wird, mit einem Tropfen Wein, der über Jahre gereift ist. Ich fühle, dass ihre Wort unter meiner Haut warm werden. Und ich hoffe, dass sie einen Schluck von mir nimmt. Das ist ihr Moment. Jetzt muss sie es tun. Bitte.

„Und was meinst du?“, fragt sie plötzlich und genau in diesem Moment dreht sie sich dann doch zu mir und sieht mir ins Gesicht, sieht mir auf die Augenbraue und folgt der Schläfe hinunter bis zum Mund, bleibt dort kurz mit ihrem Blick stehen, grübelnd, zieht dann weiter zum Hals, meinen Händen und dann blickt sie einfach wieder nach vorne.
„Was ich meine… Ich meine, dass es auch Freiheit ist, bestimmte Fragen nicht zu stellen. sich etwas offen zu lassen, zu hoffen und zu träumen. Die Türen nicht zu schließen, weil wenn man erstmal weiß, dann weiß man einfach und manche Türen bleiben dann verschlossen, ohne dass man noch überlegen kann, durch sie hindurchzugehen oder es zu lassen.“

Dann herrscht wieder Stille.
Nach einer kleinen Ewigkeit zwitschert ein Vogel. Ich blicke vom Asphalt vor uns auf, es dämmert allmählich. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir hier gesessen haben. Ich höre mich in Endlosschleife meine letzten Worte in meinem Kopf erneut sagen.
„Ich sollte jetzt nach Hause gehen, Torben.“, sagt sie und steht auf.
Im Aufstehen drückt sie mir einen Kuss auf die Wange. Einen warmen Kuss. Ein flüchtigen.
In ihrem Blick lese ich, was auch ich denke. Dass wir gerade wieder etwas älter wurden. Ich beginne zu fürchten, dass wir durch das dünne Eis, auf dem wir ritten, durchzubrechen drohen, wie zwei, die zuviel vom Leben kennen, um auf Wolken zu tanzen.. Vielleicht waren wir einfach zu tief, jetzt gerade. Zu tief für einen unbeschwerten Sommer. Vielleicht bräuchten wir die Fragen und die Antworten. Vielleicht. Scheiße. Ich fange an zu denken wie kleine Mädchen auf einer Internetplattform für Mittelmäßige. Das ist nicht die Farbe, die ich trage.
Ich habe keine Ahnung.
„Mach es gut, kleiner Meisenmann“, sagt sie, winkt mir zu und dann geht sie in die aufgehende Sonne. Alleine.
Ich bleibe noch eine Weile sitzen und seufze tief in mich hinein. Dorthin, wo meine Worte herkommen. Meine Gedanken. Gefühlschaos

Dann gehe ich auch nach hause.
Mehr und mehr Vögel beginnen, zu zwitschern. Auf der Straße kommen mir Pärchen entgegen, umschlungen, die sich jetzt in ihre Betten verkriechen. Wieviele von ihnen wohl glücklich werden? Wieviele von ihnen wohl glücklich sind?
Betrunkene Penner torkeln Lieder gröhlend vorbei. Singen davon, dass die Liebe eine große Schlampe ist. Der erste Bus läutet das Aufwachen des Alltäglichen ein.

Es kommt, wie es kommen muss. Manchmal läufst du tagelang herum, als hätte die Welt dir einen Gratisflug ins Land der Liebe geschenkt und plötzlich hast du das Gefühl, du hast dein Ticket verloren.
Das andere Mädchen hatte also einen Freund und ich frage mich, wieso sie ihn betrügt. Ich glaube, sowas tut man nicht, wenn man glücklich ist Und sie wollte mir doch signalisieren, dass sie eigentlich glücklich sei. Oder?. Doch was tue ich selbst? Svenja hat Tom. Kann ich das einfach so weiterleugnen? Kann sie es? Ist Svenja mit Tom glücklich?
Hat das Mädchen ihren Freund betrogen, wenn zwischen uns garnichs lief? Ist ein Unfall Betrug? Bin ich ein Unfall? Was will Svenja? Was will ich?
Was will ich?

Ich habe keine Ahnung. Vielleicht überinterpetiere ich herum, mache mir zuviele Sorgen. Ich muss morgen mit Anja sprechen. Morgen, wenn ich nüchtern bin. Das ist der letzte Gedanke, den ich fassen kann. Klar fassen kann. Dann fall ich in mein Bett und schlafe ein.

Montag, 9. August 2010

Tag 4/2: Der Abend. Endlich! Da steht sie. Vor mir.

Seit Tagen sind meine Nerven angespannt wie eine Gruppe Erstsemester vor ihrem ersten Hochschulreferat. Das Ziel vor meinen Augen hat eine gute Weile darauf gewartet, wann es sich mir stellt. Jetzt, endlich. Ich bin froh. Ich bin da.
Da.
Da steht sie. Vor mir.
Ich muss schlucken. Schwindsucht.
Sie trägt eine rot-weiß-karierte Bluse. Sie sitzt perfekt. Ich schlucke.
„Schön, du bist da. Und wie pünktlich du bist!“, sagt sie.
„Ja…“, huste ich hervor und merke, wie meine Handinnenflächen kleine Bäche gebären.
„Dann komm mal rein“, lockt sie mich, ihre Hand fährt hoch zu meiner Schulter, mit einem Finger, einer einzigen Fingerkuppe berührt sie mich. Mein Körper möchte ekstatisch platzen. Mit einer einzigen Fingerkuppe schiebt sie mich in ihre Wohnung.

Die Wohnung ist hell, das ganze Weiß springt mich sofort an. Und sie ist, so stellte ich mir in meiner Jugend im Erdkundeunterricht das geteilte Berlin vor, mit einer unsichtbaren Wand, die das geräumige Flurkreuz in drei Sektoren aufteilt, durchzogen, die sich in den Eckpunkten Küche, Wohnzimmer und Bad überschlagen, vermischen und ein chaotisches Bild zeichnen. Ich versuche, Svenjas Handschrift herauszufiltern. Versuche, zu sehen, was ich sehen möchte. Und es klappt.
Dann sitzen wir plötzlich im Wohnzimmer auf einem knallroten Sofa. Der Höflichkeitsabstand beträgt einen Meter.

Sie trägt eine blaue, knusprig anliegende Jeans. Ich mag das. Das Hosenbein hat sie bis über die Knöchel umgeschlagen, sie trägt dazu knallgrüne Flipflops. Schärfster Kontrast zum Sofa. Ich mag ihre Füße.
An der Wand hängen schwarzweiße Bilder, Stadtszenen aus Paris, London, Rom.
„Deine Bilder?“
„Nein!“, sagt sie und lacht sofort, fährt sich mit ihrem Finger durch das Haar.
Ich klammere mich daran fest, hier alles beobachten zu können. Sie merkt es scheinbar.
„Was möchtest du trinken, Singstar?“
„Was hast du denn da?“.
„Ich habe eine Idee…“. Sie beißt sich in die Unterlippe, ganz kurz, wie das Aufflackern eines Feuerzeuges, blitzt kurz mit ihren Augen in meine, hüpft vom Sofa auf und verschwindet in der Küche. Zeit, um mich zu sammeln, um kurz durchzuatmen.

Sie ist heiß. Aber wieso fällt mir jetzt erst auf? War sie es bislang nicht? Woran liegt es, dass ich es jetzt erst merke? Mein Puls reguliert sich schleichend, die Hände kommen zur Besinnung. Ich schaue mich um, stehe auf, tigere durch das weite Zimmer, stehe am Fenster. Die Fensterscheiben sind so fein geputzt, dass man sie nur anhand der Wassertropfen bemerkt, die durch den Schauer allmählich dort auftreffen und sich ihren Weg bahnen. Ich berühre das Glas, um sicher zu gehen, dass sie wirklich da sind, ziehe meine Hand aber sofort wieder weg. Fingerabdruck. Schlechtes Gewissen. Es ist ein wenig so, als hätte ich so eben durch meinen Fingerabdruck, durch den Schmutz meines Daseins eine mikrokosmische Ordnung ins Wanken gebracht. Als wäre ich in ein Biotop eingedrungen, das sich gegen meine männliche Anwesenheit nicht wehren kann. Hier ist es zu sauber, beinahe klinisch. Ich spüre bereits das Trippeln einer osteuropäischen Putzfrau, nein, das Trippeln einer kleinen Wirtschaftsstudentin im knallroten Kostüm, passend zum Sofa, die reinkommt, mich entdeckt, mit einer riesigen Flasche Glasklar ansprüht und mit der rauen Seite eines riesigen Blitzi-Schwammes aus dieser Welt schrubbt. Auf meinem Grabstein steht "Weggeputzt", die Beerdigungsgäste haben alle Schutzfolien um ihre Schuhe, um den Rasen nicht zu beschädigen.

Da thront er, mein Fingerabdruck, wie ein Mahnmal, bedrohlich auf der sauberen Fläche. Ich hauche die Fensterscheibe an, nehme ein Tempotaschentuch aus meiner Gesäßtasche und entferne ihn.

„Was machen sie denn da? Ist es nicht sauber genug?“
Ich drehe mich um, Svenja feixt mich an.
„Nein, das ist ja unerträglich schmutzig hier, da war ich wirklich gezwungen, erstmal auszubessern!“
Sie lacht.
„Du hast an die Scheibe gefasst, ne?“
„Ja…“
„Das passiert mir auch andauernd, aber ich mache mir nie die Mühe, das wegzuwischen“
„Wieso nicht?“
„Wieso wohl?“
„Tjaaaaaa…“

Sie stellt zwei große, bunt gefüllte Gläser auf den Tisch.
„Probier mal!“
Ich nippe.
„Mhmmm! Was ist das?“
„Großmutters Geheimmischung.“
„Wollen sie mich etwa betrunken machen und verführen?“
„Wer weiß?“

Sie legt Musik auf, läuft etwas durch das Wohnzimmer. Ich muss ihr dabei kurz auf den Po sehen und danach meine Erregung verbergen. Es ist hier sehr warm, draußen prasselt es inzwischen so richtig nieder und als die Musik einsetzt, hockt sich Svenja vor mich auf den weißen Teppich, nippt an ihren Strohhalm und beginnt zur erzählen, was sie heute so tat.

Ich halte mein Gehör hin und verfolge dabei mit meinen Augen die Bewegungen ihrer Lippen, versuche mir vorzustellen, wie es wohl sein wird, an ihnen zu knabbern. Schau in ihre Augen, wenn sie kurz aus dem Fenster blickt, während sie überlegen muss, wie ihre Ausführungen weitergehen sollen, ich erkenne ihre Augenfarbe nicht genau.
Auch wenn ich sonst jedes Wort von ihr einatme, aufsauge, als wenn es noch einmal für eine Prüfung in meinen Leben entscheident sein wird, im Moment prallen sie an meinen meiner Stirn ab, ich bin unfähig, etwas davon zu behalten. Mir scheint es, ich sei etwas überfordert und gleichzeitig gebannt, so wie damals, als ich als Schulkind im Unterricht saß und das erste mal sah, wie Schnee fiel und ich an nichts anderes mehr denken konnte, als sofort rauszurennen und ihn zu berühren.

Und mit Menschen ist das wie mit Schnee, man muss immer aufpassen, wie und wann man sie anfasst, berührt, damit sie nicht unter der Hand wegfließen und nie wieder kommen.

„Und was hast du heute so getrieben?“
Draußen regnet es immernoch, es wird langsam kühler, ich frage mich, wieviel Alkohol wohl in diesem Cocktail war. Meine Wangen werden warm. Das Zimmer wird kurz erhellt, als die Sonne für einen Augenblick durch die Wolken hindurchbricht.
„Torben?“
„Ähm?“
„Wo bist du?“
Ich werde rot.
„Bei dir. Sorry, ich habe gerade versucht, herauszufinden, welche Augenfarbe du hast und mich dabei wohl so sehr konzentriert, dass ich plötlich wegtrat. Sorry.“
„Grün…“, sagt sie „… du Fratz.“
Sie kichert vergnügt, beugt sich zu mir nach vorne, gibt mir ein Küsschen auf die leicht glühende Wange. Es fühlt sich an wie ein Stück Schnee auf der Haut. Dann nimmt sie das leere Glas, steht erneut auf und verlässt mich wieder in Richtung Küche.
Wie kann sie mich mit dieser Geste jetzt alleine lassen? Argh!
Ich bemühe mich ebenfalls hoch und gehe ihr hinterher.

Da steht sie, füllt Säfte in ein Glas, gibt Rum dazu, Wodka, Kokosraspeln, Sahne und gecrushtes Eis. Sie singt vor sich hin.
Ich stelle mich direkt hinter sie, schaue ihr über die Schulter.
„Und was singst du da?“
Sie dreht sich, merkt, wie nahe ich stehe, landet in meinen Augen, zuckt leicht, errötet selber und dutzt kurz.
„Ehm, das ist Where the wild roses grow.“
„Und du bist Elisa Day?“
„Aber du möchtest mich doch nicht tot finden?“ sagt sie und legt eine verspielte Schüchternheit in ihren Blick. Jetzt fass ich sie an der Schulter.
„Niemals. Ganz anders.“
„Das ist schön.“
Dann singt sie weiter, während wir gespannt stehen bleiben.
„ They call me The Wild Rose
But my name is Elisa Day
Why they call me it I do not know
For my name is Elisa Day“
Das Eis klackert in das zweite Glas wie Perlen auf das Parkett eines großen, einsamen Hauses.
Dann versuche ich, meine Stimme auf Nick Caves Tiefe herunterzuschrauben.
„ From the first day I saw her I knew she was the one
As she stared in my eyes and smiled
For her lips were the colour of the roses“

So hört sie auf zu mixen, starrt mich an, ist überrascht. Auch ich bin überrascht, wie gut ich in diesem Moment den Ton getroffen habe. Ich stiere ihr auf den Mund, ihr Schneidezahn tritt leicht hervor und knipst kurz in die Unterlippe. Als meine Hand zu ihren Hals wandert, drillt es schrill an der Haustür.
Wir schrecken beide auf.

„Oh Ah!“. Sie stottert.
„Du kriegst noch Besuch?“
„Eigentlich nicht. Ah. Äh. Hm. Ich muss mal nachgehen sehen.“

Übereilt verlässt sie die Küche, ich greife mir einen der beiden Drinks, nippe, schmecke, wie mich der Geschmack wieder auftaut und ich höre, wie sich im Flur die Tür öffnet, höre Frauengekicher, das die ganze Etage erfüllt und wie zwei Personen herein kommen. Ich höre das Geklacker von Bierflaschen, höre Svenja: „Aaah, was macht ihr denn hier. Was eine Überr…eh…raschung!“
„Ja, wir dachten wir komme mal wieder vorbei und überfallen dich zum Vortrinken.“
Dann luken sie in die Küche, glotzen mir ins Gesicht und erstarren.
„Ach, du hast ja schon Besuch?“
„Ja! Das ist Torben.“
„Hallo Torben“, sagen die beiden Mädchen.
„Hi“, entgegne ich.
Svenja sieht zu mir rüber und zuckt etwas unvermittelt mit den Schultern, bittet die beiden dann ins Wohnzimmer, kommt wieder zu mir in die Küche, nimmt sich das zweite Glas.
„Das war eigentlich nicht der Plan. Aber du weißt ja, wie Freunde sind… . Oder?“
„Ja, das weiß ich“ sage ich und bemühe ein joviales Lächeln.
„Mein Nick Cave“, sagt sie, nippt an ihrem Glas, sieht mir tief in die Augen und dann gehen wir zu den Damen herüber.

Die beiden reden die ganze Zeit über Universitätsdinge, Klausuren, neuen CDs und es fällt mir schwer, ihnen zu folgen. Abundzu berühren sich meine Blicke mit Svenjas. Es wirkt fast so, als würden wir mit den Augen Händchen halte und doch ist sie auf dem anderen Ende des Wohnzimmertisches wie durch eine vierspurige Wortschnellstraße von mir getrennt, während die beiden Freundinnen den Raum in eine verbale Luftpolsterfolie packen, die jedes Näherkommen unterbindet.
Ich beginne, aus dem Fenster zu sehen, an die Gesangseinlage in der Küche zu denken, mich zu ärgern, wie knapp das war. Beginne, mich zu freuen, wie knapp das war und stöbere dann in der WG-CD-Sammlung.
Paolo Nutini trifft Bee-Gees trifft Interpol trifft Arctic Monkeys tritt Roger Cicero, Yvonne Catterfeld, eine ganze Beatsteaksdiscographie, eine Beatles-Discographie, eine McCartney-Single und ich bleibe am The Killers Album kleben.
Ich öffne sie, lege sie in den Player und skippe auf "Somebody Told Me", grinse zu ihr rüber. Sie merkt es sofort, schnalzt kurz und entschlossen mit der Zunge, zischt leicht, wird etwas rot, schüttelt mit dem Kopf und muss dann lachen.
Die beiden Freundinnen sind so in ihr Gespräch vertieft, dass sie davon nichts registrieren.

Der Abend verstreicht, ein Glas nach dem anderen leert sich und am Ende findet sich eine beachtliche Anzahl an unterschiedlichen Glassorten und Bierflaschen auf dem Wohzimmertisch. Gemeinsam versuchen wir, das geringe Chaos aus dem ordentlichen Kosmos zu entfernen, um das WG-Thermometer nicht zum Ausschlag zu bringen, bis Svenja schließlich vor uns tritt und bekannt gibt, welche Disco sie für heute abend ausgesucht hat.

Es ist Nacht.
Der Regen hat sich inzwischen verzogen, als wir das Haus verlassen und die Wolken geben Blicke auf die Sterne frei. Die Straße ist mit einem Regenfilm überzogen und es knatscht unter unseren Schritten. Wir laufen 20 Minuten, leeren weitere Flaschen Bier, die wir in einem weißen Plastikbeutel mit uns führen.

Wir sind inzwischen völlig befreit und meine anfängliche Abneigung gegenüber Svenjas Freundinnen ist inzwischen verflogen. Während die rote Ampel uns an einer Kreuzung aufhält, gibt es unter Gekicher eine zweite Vorstellungsrunde. Sie heißen Sybille, auch genannt Sylle und Mira, die lieber Katze genannt werden möchte. Auf Svenjas Hinweis hin stelle ich das auch nicht in Frage, sondern nenne sie einfach so.
Als wir die Ampelkreuzung überquert haben, klemmt sich Svenja unvermittelt bei mir ein, ihre Finger schieben sich zwischen meine, sie lehnt ihren Kopf kurz auf meine Schulter und sagt leise „Ist doch garnicht so schlimm gelaufen, jetzt, oder?“.
„Ja“, sage ich, streichel mit meinem Daumen kurz über ihren Handrücken, damit sie mein Ja nicht als Ironie missversteht.
„Magst du die beiden denn ein bisschen?“
„Am anfang fande ich sie schon etwas nervig“, flüster ich,“aber ja, eigentlich sind sie echt nett. Du wirst ja auch einen Grund haben, dass du mit ihnen befreundet bist.“
„Ja, den habe ich“, lacht sie, drückt mich kurz, dann rennt sie zehn, zwanzig Schritte voraus, bleibt stehen, hüpft, dreht sich und wir wissen, dass wir angekommen sind.

Die Disco ist vollgepfropft, die Tanzfläche platzt beinahe und die Stimmung ist ausgelassen. Doch dann befällt mich, welche Musik man uns hier heute bieten wird.
Es ist ein Ska-Abend. Wie von einem Zirkusorchester dröhnen die schrägen, kitschigbunten Melodien aus dem bemitleidenswerten Boxen zu denen die Menschen in wilden Ausfallschritten umeinander herum hüpfen, als hätten sie sich auf dem Weg in die Villa Kunterbunt verlaufen.
Ich sehe Svenja an.
„Das ist aber jetzt nicht dein Ernst!“
„HAHA“
„Ich bitte dich!“
„Nein, das ist nur ein kleiner Scherz, ist ja heute eh umsonst. Wenn wir zuerst hier sind, genießen wir die andere Musik nachher mehr.“
„Hmm. Nagut. Aber echt mal, das ist doch hier eine Afterworkparty von den Sozialpädagogen. Soviel Ethnoheinis gibt es in ganz Afrika nicht.“
„Jamaika!“
Plötzlich läuft, etwas aus dem musikalischen Zusammenhang gerissen, NOFX und die ganze Partymeute raster völlig aus, schubst sich hüpfend rum, selbst auf den Rängen. Alle brüllen sie „Kill all the white mon!“.

„Kill all the white men? Was glauben diese verwöhnten Lehrerkinder denn, wo sie dann bleiben?“
„Hehe, das frage ich mich auch immer. Bier?“
„Ja, das ist nötig.“
Wir schieben uns an die Theke, als ich von so einer Dreadlocks tragenden einfünfundneunzig großen Bergziege gefragt werde, ob das neben mir meine Freundin sei.
„Ja“, sage ich und kann mir nicht vekneifen, noch nachzusetzen.
„Darf ich auch etwas fragen?“
„Klar!“, antwortet der etwas nach drei Tagen Wasserausfall riechende junge Mann.
„Alles ska?“
„Haha, witzig!“, sagt er.
„Nicht wirklich“, antworte ich.
„Was hast du denn gegen mich?“
„Was hast du denn gegen dich?“
„Uff!“
„Achso. Nagut, wir müssen dann auch mal weiter“, sage ich, schaue eindeutig zu meinen Damen rüber, woraufhin wir auf mein Betteln hin den Laden wieder verlassen.
Draußen wartet bereits Katze, zeigt auf mich und lacht.
„Du hättest deinen Blick sehen müssen, als die NOFX gespielt haben!“
„Geht so, ne?“, anworte ich.
Kommentarlos ziehen wir weiter, Svenja hakt sich erneut bei mir ein und wir schlendern vor uns hin, während sie ein neues Lied hervorsummt.
„Du bist auch ein kleines Musikkind, was?“
„Es müssen sich ja nicht nur immer Gegensätze anziehen“, antwortet sie und wir schauen gleichzeitig nach oben.

In der anderen Disco ist ein recht regulärer Abend angesagt, wir kämpfen uns wieder zuerst zur Theke durch, bestellen das nächste Bier. Als ich mich umsehe, erkenne ich vor allem viele junge Menschen. Die Musik ist besser als auf dem Ska-Abend, was auch nicht besonders schwer zu erreichen war. Insofern ist Svenjas Laufplan hervorragend aufgegangen. Ich störe mich nur wenig an dem stark routinierten Spiel des DJs, der offensichtlich eher zur Sorte Jukebox als zur Sorte Künstler gehört. Ganze Wellen an Menschen fluten an sein Pult, entladen ihren Wunsch und ebben zurück auf die Tanzfläche.

Wir nähern uns dem Schauspiel etwas an und bekommen mit, wie ein junges Mädchen auf Zehenspitzen stehend am Pult klemmt während sie sich lauthals „Deine Eltern sind auf einem Tennistornia“ von Remmi Demmi wünscht. Wir lachen parallel zum DJ los, der sofort eine Thekenkraft zu sich winkt und ihr davon erzählt. Auch sie fängt ohne Verzögerung an, zu lachen, rennt zurück zur Theke von wo aus sich das Lachfeuer im ganzen Laden ausbreitet. Innerhalb weniger Minuten avanciert die kleine Dame zur Prominenten des Abends.
Ein wenig tut sie mir dann schon Leid und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich immer so gehässig bin. Aber dann bemerke ich, wie viele Typen diese Misgeschick nutzen, um sich an sie heranzuschmeissen. Also wird Ignoranz im Leben am Ende doch belohnt, halte ich fest und remple beim sinieren jemanden an. Es ist ein Mittzwanziger in Cordsacko, Hornbrille und mit einem braunen Seitenscheitel. Ich entschuldige mich. So kommen wir ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass er DJ aus einer anderen Stadt ist, der hier eine Freundin besucht und am Wochenende in diesem Laden ein Beatclub Special auflegen wird, sich daher den Club vorher schonmal ansehen möchte.
„Und was glaubst du, wie ist das Potenzial?“, frage ich.
„Läuft, läuft“, sagt er, „mit guter Musik kann man immer überzeugen.“
Ich erinnere mich an den Ska-Abend.
„Nicht nur mit guter, leider“
„Aber wir müssen ja nicht alles den Hunden überlassen.“
„Da hast du Recht.“
Wir stoßen an, trinken und er erzählt noch ein paar Wortwitze, von denen ich mir die die Hälfte sofort merken möchte und die andere Hälfte schon kenne. Er kichert bei jeder Pointe wie ein kleiner Junge, der einen Streich gespielt hat, was ihn mir sehr sympathisch macht.

Svenja kommt auf uns zu, ich stelle sie einander vor, dann will sie mich auf die Tanzfläche zerren. Ich verabschiede mich noch vom Gast-DJ mit dem Versprechen, mir seinen Abend anhören zu kommen und kurz darauf verlieren Svenja und ich uns in der Musik. Es ist selten, dass man beim Tanzen von Natur aus zusammenpasst, das man harmoniert, aber wir haben dieses seltene Glück, bauen kleine Poserstücke ein und nach zwei oder drei Liedern ist egal, was aus den Boxen kommt. Es geht nur noch um uns. Alles andere verschwimmt.

Sie zieht mich nah an sich heran, flüster mir „Nick Cave“ ins Ohr, küsst mich dahinter.
Ich will antworten, doch der Alkohol macht sich plötzlich in Unterkörper bemerkbar, ich zucke kurz zusammen. „Ich bin gleich für dich da“, sage ich, „nicht weggehen!“.
„Niemals“, sagte sie, lächelt, dann blickt sie nach oben und tanzt weiter, während ich zur Toilette eile.
Eine Schlange hat sich gebildet. Es dauert circa zehn Minuten, ehe ich endlich mein Geschäft erledigen kann. Es wird nicht einfacher, so lange inne zu halten, da ich zurück zu ihr will. Als ich endlich zum Zug komme und sichtlich aufgelockert wieder in Richtung Hauptraum gehe, sehe ich, wie sie sich mit einem Mädchen unterhält. Ich habe dieses Mädchen auch schon mal irgendwo gesehen.
Aber wor?
Wo zum Teufel?
Dann fällt es mir wieder ein. Es ist die, neben der ich am Sonntag aufgewacht bin. Scheiße. Die werden sich doch wohl nicht kennen? Was tue ich denn jetzt?
Sie redet hektisch auf Svenja ein. Sie drehen sich kurz zu mir. Svenja blick mich an. Verzieht den Mund. Ich kann diese Mimik nicht zuordnen. Dann drückt sich an dem Mädchen vorbei und verlässt eilig den Laden. Verdammte Scheiße. Was war das jetzt? Woher würde sie überhaupt wissen, das Svenja mit mir zutun hat? Hat sie uns beobachtet?
Will sie es mir heimzahlen?
Was soll ich jetzt tun?

Montag, 2. August 2010

Tag 4/1: Heute treffe ich Sie. Svenja. Aber der Tag klebt an meiner Sohle wie Kaugummi

Mittwoch
Die Luft steht. Sprichwörtlich. Es scheint mir, als habe der Tag bereits mit dreißig Grad begonnen, unsere ächzt Wohnung unter der Hitze. Mars, Anja und ich sind seit Acht wach, weil ans Schlafen gar nicht zu denken ist. Rettender weise hatte ich die Idee, uns kalte Schalen mit Wasser unter den Küchentisch zu stellen, in die wir alle unsere Füße reinhalten, während wir fernsehen und abwechselnd mit unseren Köpfen nach vorne kippen und kurz einnicken.

Nach etwa drei Stunden rafft Mars sich auf, stolpert wie ein Untoter zum Kühlschrank, holt drei Nektarinen, Orangen und Eier raus und beginnt, zu brutzeln und zu schnibbeln. Ich kann nur zu Anja rüber schielen, die meinen Eindruck teilt, dass es schon an Wahnsinn grenzt, ans Essen auch nur zu denken. Mein Magen und meine Speiseröhre - ich bilde mir ein, ich kann sie genau spüren, wie sie von den Strapazen dehydriert kleben. Aber, Mist, Ja! Trinken! Das ist eine Idee. Ich lache. So ist das nun, wenn man das früh aufstehen nicht gewöhnt ist - man vergisst die banalsten Dinge.
„Trinkäääään!“, wimmer ich langsam und gequält in die Runde, schaue hilflos und strecke einen Arm Hänsel-gleich nach vorn und hoffe, dass ich Anjas Muttergefühle wecke, sie mir etwas heran reicht.
Aber sie schaut noch gequälter zu Mars rüber, streckt auch ihren Arm aus und wiederholt
„Trinkääähääään! Jehehehehetzt!“.

Jeder Mensch, der uns nicht kennt, käme sofort auf die Idee, wir wären bloß verweichlichtes, kindisches Studentenpack, nicht so aber Mars, der es viel zu sehr genießt, wenn er gebraucht, gerade zu angebettelt wird. Er lässt seine Hand von der Pfanne ab, holt weitere Orangen, presst uns daraus O-Saft und bringt 3 Flaschen Mineralwasser aus der Abstellkammer dazu. Wie eine gierige Meute Schnäppchenjäger japsen wir das O-Saft-Glas in absoluter Rekordzeit runter, seufzen laut und erleichtert auf, kippen danach das laue Mineralwasser in uns hinein. Anja krönt dieses kurzweilige Schauspiel mit einem inbrünstigen und zugleich zutiefst zarten, weiblichen Rülpser. Mars küsst sie auf die Stirn und verzeiht uns.

Ich versichere ihm daraufhin, dass er der beste Mitbewohner auf der Welt sei und dass, wenn ich eine Frau wäre, sicher feste Absichten ihm gegenüber hegen würde, trotz aller platonischen Liebe zu Anja, die, als sie dies hört, nur pikiert mit der Zunge schnalzt, mir auf die Schulter klopft und in angekratzer Souveränität ein „Träum weiter“ in mein Gesicht haucht. Ihr Atem riecht nach acht Stunden Schlaf und Orangenfruchtfleisch.
Erotisch.
„Sagt mal, träumt ihr auch immer so scheiße, wenn es draußen so warm ist?“, fragt Mars uns plötzlich, während er weiter in der Pfanne mit dem Ei rumstochert.
„Nee, wieso“, antwortet Anja, während ich mich daran erinner, wie beklemmend mein Traum in dieser Nacht war. Der Traum, der neben der Hitze dazu geführt hat, dass ich so früh aufwachen musste.
„Naja, ich träum dann manchmal, dass es brennt. Nicht so schön.“
„Ich habe heute auch wirklich einen abgefuckten Mist geträumt“, werf ich ein, „da wusste ich beim Aufwachen garnicht, ob ich von der Hitze verschwitzt bin oder von der Aufregung.“
„Das klingt übel."
Ich nicke Mars zu.
„Das würde mich jetzt aber schon interessieren, was du genau geträumt hast.“
Ich grübele los, versuche, die Bilder nocheinmal zusammenzustreichen. Oft ist mir kurz nach dem Traum noch genau klar, was ich geträumt habe, so, dass ich mir einbilde, ich könnte es nie wieder vergessen, aber meist verschwinden diese Erinnerungen dann innerhalb weniger Stunden. ..“
Ich erzähle von einem Traum, bei dem ich im Haus meiner Eltern gefangen bin und von außen erst Räuber und dann kannibalische Kinder eindringen wollen. Nachdem das Haus mit den blutrünstigen Kindern übersät ist, rette ich mich, in dem ich sie abschlachte, bevor sie mich verspeisen können.
„Das war aber nochmal knapp“, staunt Mars sofort und ich sehe, wie die beiden mich anstarren, wie sie erst mit fiebern und plötzlich erleichtert aufatmen.


„Oh MEIN GOTT! Ich glaube, ich hätte einen Herzinfarkt bekommen, bei diesem Traum“. Ich sehe zu Anja und bemerke, wie ihre Hand zittert. Ihre einfühlsame, sensible Art spüren viele im Alltag kaum.

Das Schlimmste für mich wäre, wenn einer sagen würde, dass ich doch krank sein muss, um so ein Zeug zu träumen. Oder wenn Anja jetzt anfangen würde, den Traum psychologisch zu analysieren. So von wegen Freud und Libido und unterdrückter Sexualität und all dieser Kram. Aber sie legt ihre Hand auf meine Schulter. Und Mars serviert das Rührei.
Im Grunde genommen, denke ich, ist es doch besser, in einen Tag, an dem ich mit Sicherheit Svenja sehen werde, mit einem Alptraum zu starten, als wenn ich glücklich aufwache und es von diesem Punkt auch nur noch schlimmer wird. Wie fein man sich alles zusammenzimmern kann. Ich lächele und Mars entgegnet mir „Siehst du, wenn der Papi kocht, da sind auch all die bösen Träume gleich vergessen“.
„Ja, du bist mein Private Johann Lafer, nur ohne die zehn Millionen Jahresumsatz.“
„Hmpf! Die kannst du mir aber ruhig auch geben.“
„Wenn ich sie mal irgendwann über habe, kriegst du sie! Versprochen!“
Ja, ich werde heute Svenja sehen. Sie freut sich auf mich, es wird um sieben sein. Um sieben. Soviel Zeit für uns, bis es dann wohl Tanzen geht. In welchen Laden wird sie mich wohl entführen wollen. Worauf sie wohl tanzt? Sigur Ros hört sie, das weiß ich ja, aber sonst?
„Rührei. Mhmm!“ Ich zähle die Sekunden, frage ich mich, was ich anziehen soll, was sie wohl anziehen wird, wie es bei ihr aussieht, ob es zu etwas kommen wird. Ob ich Kondome mitnehmen soll? Wird sie mich verführen wollen? Wird sie wollen, dass ich sie verführe? Am besten sollte ich alles auf mich zukommen lassen, ich werde es früh genug sehen.
Blick auf die Uhr. 12:48. Ich werde es in exakt sechs Stunden und zwölf Minuten genauer wissen.
……… ..

Der Nachmittag will kein Ende nehmen. Wie eine endlos lange Straße auf dem Weg zwischen zwei Dörfern, wie die Rede des Rektors in der Aula am ersten Unitag, der Referat eines Kommilitonen mit nerviger Stimme, wie Regen im April, es würden mir noch viele Beispiele einfallen, denn mir ist langweilig und die Zeit will sich einfach nicht totschlagen lassen.
Ich stöbere in alten Briefen herum - ich habe sie in einer großen schwarzen Box gesammelt. Oft, wenn ich das Gefühl habe, ich stehe vor etwas gutem Neuen, dann öffne ich sie, erinnere mich an gute vergangene Zeiten. Liebesbriefe, kleine Nachrichten, die den Weg beschreiben, der hier her führt. Ich lese einen Brief, sie schrieb mir ein Gedicht von Paul Celan. Es passt gerade sehr gut.

Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit, dass es Zeit wird. Der Brief riecht nach Vanilla Kisses von Impulse. Das haben damals zwar fast alle Mädchen getragen, ich fand es trotzdem sexy. Heute riecht es ein bisschen nach kleinem Mädchen, aber wir waren jung. Der Geruch ist inzwischen eher bitter, verlebt, aber das kann auch an dem verdammt heißen Wetter liegen.
Wenn es stimmt und überall in der Luft Staubmilben sind außer in keimfreien Laboren, dann könnten sie Staubmilben gerade sicher auf meiner Stirn eine kleine Poolparty veranstalten, sich mit Cuba Libre besaufen und wilden Sex haben. Wilder Sex. Svenja.
Ich gehe in die Stadt. „Eis. Jetzt!“

…..

Auch in der Stadt steht die Luft, ich Blicke auf die Uhr, 17:10, es wird nicht später. Es ist ganz so, als ob die dicke, schwere Luft sie vom Laufen abhalten würde, als ob sie man sie auf den schwelenden Asphalt drücken würde wie eine russische Ringkämpferin ihre körperlich unterlegene Gegnerin aus Nigeria.
Speckige, weiße Waden springen mir überall entgegen, schwarze Flipflops aus dem H&M sind die Trendfußmode der jüngeren Männer. Ein junges Mädchen mit Slipons, weißen Kniestrümpfen mit blauen Kringeln und einer kurzen Short, sie ist vielleicht 17, tigert an mir vorbei. Wäre vielleicht unter normalen Bedingungen noch irgendwie… kinky, aber bei solchen Temperaturen packe ich mir einfach an den Kopf, Kniestrümpfe bei gefühlten 45 Grad, wie nötig kann ein Mensch es denn haben? Sie ist doch noch jung. Was wird Svenja wohl anhaben? Rotlichtkino im Kopf. Ich merke, wie meine Jeans sich vorne beult. Jetzt schnell ein Eis.
Es hilft. Waldmeister und Vanille, cremig.
„Waldmeister?“, sagt eine Stimme neben mir.
Ich drehe mich. Sie ist klein und dicklich, hat rotgefärbte, schlecht rotgefärbte Haare, ein Sternchentop, das nur mit Mühe zusammenhält, was niemand sehen will.
Ich verstelle meine Stimme.
„Pardon?“
„Waldmeister?“, wiederholt sie und deutet ein Lächeln an.
„Don’t speak german. What do you mean with What’s my stair?“
„Waldmeister! I... äh… askt ju… if ju… äh… Wuttmaster Eiskreme?“
„Sorry, i don’t get, your mister has a stair, what?“
„Ah, äh, ju laik jua Eiskreme?“
„What?“
„Forgitt et!“
„What?“
„Zorri!“
„What?“

Ihr Gesichtsrot verändert sich von blassem Spanferkel in gekochten Hummer und sie geht. Das wäre geschafft.

Eine kleine Katze läuft an mir vorbei, sie huscht geradezu vorbei, hüpft über meinen Schuh und streichelt mit ihrem Fell an meiner Haut vorbei. Es fühlt sich weich an, sie hat recht kühles Fell, so wie ich das auf die Schnelle beurteilen kann. Sie ist wirklich süß. Ich überlege kurz, ob ich sie nicht fassen soll, mitnehmen und Svenja als Geschenk überreichen. Aber dann wird sie sicher irgendjemand vermissen. Oder auch nicht. Sie ist ein freies Tier. Genau. Und ich darf sie nicht einfach in Abhängigkeit bringen, nur, weil sie putzig ist.
Sie biegt um die nächste Ecke. Thema erledigt.

Ich schlendere so noch eine Weile gedankenversunken durch die Gassen und komme wie aus Geisterhand ganz unvermittelt wieder zuhause an.
Viertel nach sechs, jetzt könnte ich gemütlich duschen gehen.
Doch dann fällt mir ein, dass ich in meiner Berechnung nicht berücksichtigt habe, wie lange ich zur ihr brauche. Wo wohnt sie überhaupt? Blick auf den Zettel.
„Mist“. Das schaffe ich kaum rechtzeitig.
„Anjaaaaaaaaa!“
Anja, kommt aus ihrem Zimmer.
„Duuu. Du musst mir helfen!“
„Aber immer doch. Worum geht es?“
„Ich habe gleich ein Date und brauche dein Fahrrad, weil es so weit weg ist und die Busverbindung scheiße ist.“
„Ein Date?“
„Argh. Ich muss noch duschen. Ich erklär dir das alles total ausführlich morgen, versprochen. Krieg’ ich’s nun oder nicht?“
„Ja, gut, aber morgen erfahre ich alles!“
„Auf jeden!“
Sie geht an ihren Schreibtisch, kramt den Schlüssel raus und schnippt ihn mir rüber. Meine WG. Meine Familie. Hach.

In Windeseile geduscht, ich habe Glück, nach dem Föhnen sitzen die Haare perfekt. Das Shirt fällt passend, hat keine Falten, ich bin genau aus der richtigen Form geschmiedet. Es kann losgehen.

Ich schwinge mich aufs Rad und fahre los. Los, los, los. Über mir donnert es plötzlich. Wind zieht auf. Es wird dunkel und kühlt innerhalb von Minuten ab. Der Wind wird stärker. Er jagt mich durch die ganze Stadt. Gewitter in Verzug. Los, los, los. Als die ersten Tropfen meine Haare berühren, komm ich an. Hübsche Straße. Ich klingele, sieben Uhr zwei.
Es surrt, ich öffne. Draußen platzt es aus allen Wolken, die Wassermassen knallen auf die Straße. Ich gehe die Treppe hoch. Es schimmert durch die dunklen Wolken nur gedimmtes Licht durch die Fenster im Treppenhaus. Herzblattatmosphäre.
Da steht sie im Türrahmen. Als hätte sie die Hitze aufgenommen. Sie ist heiß. Svenja.
Ich bin bereit.
„Da bist du ja!“
„Ja“, lache ich.
Sie kommt auf mich zu.