Montag, 20. September 2010

Tag 6: Wenn ich da jetzt reingehe, dann bin ich ein Gefühlswesterwelle.

„Rat mal, wen ich vorhin kennen gelernt habe...“
Ich wiederhole den Satz in meinem Kopf. Rat mal. Ja, wen denn?
„Keine Ahnung. Den Weihnachtsmann?“
„Nein. Svenja.“

Svenja! Meine Lippen ziehen sich zusammen, als hätte ich auf ex ein Glas Frosch-Essigreiniger getrunken. Svenja. Meine Lider zappeln. Ich will mir die Aufgewühltheit nicht anmerken lassen. Was lernt sie einfach Svenja kennen? Hallo? Ich hatte mir überlegt, diese beiden Welten ordentlich voneinander getrennt zu halten.
„Nein! Ist ja nicht wahr! Wirklich? Wie kam es dazu? Nein! Erzähl doch!“
Anja zeigt mir den Vogel. „Bist du noch ganz frisch? Was ist denn mit dir plötzlich los?“
„Hä?“
„Hä?“
„Häää?`“
„Torben? Komm mal gerade klar?“
„W...www...wie hast du die denn kennen gelernt? Erzähl mal!“
Ich lehne mich gegen die Wand und lasse mich langsam zu Boden sinken. Anja kniet sich daneben.
„Tiger. Ich wollte mein Fahrrad abholen und als ich es gerade aufschließe kommt sie mit ihrem Typen um die Ecke gebogen und sieht mich an. Natürlich war sie perplex, weil sie ja vor ihrem Typen nicht erklären konnte, wieso sie dachte, dass das nicht mein Fahrrad sei.“
„Ach! Und dann?“

„Dann bleibt sie stehen und starrt mich an, ihr Typ ist sofort total verwirrt und grunzt so ein bisschen fragend herum. Plötzlich fragt sie mich, ob dass mein Fahrrad sei und ich das für meinen Freund abhole, der das da besoffen hat stehen lassen.“
„Du hast was gesagt? Spinnst du völlig? Hast du sie noch alle?“
„Haha, nein, das hab ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass es mein Fahrrad ist und ich es einem Freund borgte, der es besoffen dort hat stehen lassen. Dann haben die beiden genickt und ihr Typ ist in das Haus gegangen. Sie blieb stehen und fragte mich, ob ich dich kennen würde. Nun ja, ich habe sie nicht angelogen. Und du, Torben, die ist nett. Echt. Und hübsch. Diese Augen...“
„Ja, ich weiß...“, seufze ich und starre zur Seite, „... was hat sie denn sonst noch gesagt?“
„Nicht viel. Kram halt. Ich soll dich grüßen. Dann ist sie hoch gegangen. Zum ihrem Macker.“

Zu ihrem Macker. Scheiße. Und Anja mag sie auch. Das passt mir gar nicht. Svenja. Ich sehe sie gerade vor mir und spüre, dass ich zu ihr will, am liebsten sofort. Zu ihr. Ihren Scheißmacker würde ich aus dem Fenster werfen und es würde mir wahrscheinlich sogar reichen, neben ihr zu sitzen. Ich bin verliebt. Scheiße. Zumindest ist klar, dass ich nicht in Martha verliebt bin. Und wenn Martha sich jetzt in mich verliebt hat? Klar, ist bei mir und Svenja ja nicht anders gelaufen. Ich bin total bescheuert. Warum passiert mir so etwas?

„Was soll ich jetzt tun, Anja?“
Ich sehe ihr in die Augen und sie scheint sofort zu merken, was in mir vor geht. Ich zeige auf die Küche und zucke mit den Schultern.
„Ich bin ein Idiot und du solltest mir in den Arsch treten. Du solltest mich da jetzt rein schicken und mir sagen, dass man so mit Menschen nicht umgeht und dass ich erwachsen werden soll. Und dann werde ich dir antworten, dass ich einen Verstand habe und dass es da dieses Gefühl gibt, das mich wie ein Polizeikommando immer wieder aus dem sicheren klugen Leben heraus treibt und mich nackt vor der Haustür an die Wand stellt und anbrüllt, auf mein Gefühl zu hören. Und.... und... hilf mir!“
„Du weißt schon, was Freundschaft ist, oder? Jungchen?“ Ich stutze. „Pass auf. Ich sehe dir in die Augen und ich kenne dich lange genug, um zu wissen, dass du ein Chaot bist und kein Lügner. Martha mag ich, und wir sind gut bekannt. Aber wir zwei hier, wir sind Freunde. Du kennst den Unterschied. Und der Typ. Der Typ. Das wird schwer. Das hab ich gleich gesehen. Den hat sie gerne. Und er sie auch. Nicht dass du am Ende...“

„Und was bringt mir die Küche, wenn ich bei ein Mal „Svenja“ auf dem Boden sitze und grüble? Ist doch nicht richtig. Wenn ich da jetzt reingehe, dann bin ich ein elender Opportunist. Ein Gefühlswesterwelle.“
„Hast du mal Martha gefragt, ob sie dich sofort heiraten will? Ihr hattet Sex und einen schönen Tag. Manchmal bist du aber auf deine verschrobene Art ein Spießer.“
„Komm! Du bist doch selbst die letzte Spießerin.“
Wir lachen. „Wenn du einen Tipp willst, dann geh da jetzt rein. Und ich komme mit. Dann bin ich die Mittäterin. Dann machen wir uns einen schönen Abend und du nimmst dich nicht so ernst sondern spielst das mal gut runter. Und ihr bleibt cool miteinander. Aber lass deine Finger von deiner dicken Hollywood-Nummer. Lass es eine lockere Affäre sein. Und sei ehrlich. Damit können alle leben. Und wenn nicht, wird sie es dir sagen und dir einen Laufpass geben. Morgen kannst du dann immer noch deine Svenja erobern.“

Ich seufze schon wieder. Ich sollte mich langsam für meine Seufzer bezahlen lassen. Ich stehe auf und Anja zieht sich an meinem Arm ebenfalls hoch. Wir nicken uns zu, sie ahmt meine Seufzer nach und lächelt.
„Und kein Wort zu Mars.“
„Never ever!“
„Gut!“
Wir gehen in die Küche, wo bereits drei gefüllte Weingläser auf dem Tisch stehen. Wir nehmen einen kräftigen Schluck.
„Wer ist eigentlich Svenja?“, fragt Martha, als sie sich zu uns um dreht. Anja verschluckt sich und kriegt einen Hustenanfall.
„Eine Lady, mit der ich nicht zusammengekommen bin, weil sie einen Freund hat.“
„Und wenn sie keinen Freund hätte... wärst du dann mit ihr zusammen?“
„Wahrscheinlich.“
„Und wie soll ich das finden?“
„Keine Ahnung, wie du das finden sollst. Ich habe meine Gedankenkontrollkappe vergessen.“

Martha kommt auf mich zu und haut mir auf den Hintern.
„Locker bleiben.“ Locker bleiben. Ich versuche es und zwinker ihr zu, während ich in Gedanken Pläne schmiede, wie ich Svenja erobern werde. Locker bleiben. Das klingt für mich wie ein Freifahrtschein. Oder nicht?
In einer ruhigen Minute schreib ich meiner Lady aus der anderen Stadthälfte eine SMS, in der ich sie um eine Audienz bitte. Währen dessen verbringen wir einen kurzweiligen Abend, wir essen und trinken und gehen aus. Der Club vertreibt alle Sorgen, wir tanzen eng und ich fühle mich breit genug, um auf zwei Stühlen zu sitzen. Breit genug, um Martha und Svenja in meinem Leben unter zu bringen. Ich wähne Anja an meiner Seite. Das wird die Sache für mich einfacher machen. Viel einfacher. Ich fürchte mich bloß vor Mars Reaktion. Er ist ein korrekter Mensch, gewissenhaft, moralisch einwandfrei. Ich glaube oft, dass Anja mit ihm zusammen ist, damit er ein bisschen Struktur in ihr Leben bringt. Ich glaube, viele Frauen wünschen sich das. So wie ich wahrscheinlich eine Frau brauchen könnte, die Struktur in mein Leben bringt. Ein Fulltime-Job. Immerhin habe ich meine WG.

Am nächsten Vormittag lege ich eine kleine Bastelstunde ein. Ich schließe die Tür ab. Ich war jetzt fast einen halben Tag am Stück sehr rational. Im Krieg gibt es keinen Platz für rationale Entscheidungen. Ich binde mir mein altes Karate-Kid-Tuch um die Stirn und grabbel in meiner alten Restekiste nach einer noch älteren Mix-Kassette, schütte das ganze verdammte Ding aus, bis ich eine finde. Ich bemale sie mit Modellbau-Stiften, beklebe die Tape-Hülle mit markigen Liebesbotschaften, die ich aus den herumliegenden Gratis-Magazinen zusammen caste.
Dann spiele ich 20 Mal „50 Ways to leave your lover“ auf das Band, bis es vor Botschaft beinahe reißt. Ich schnappe aus der Schublade ein Duplo und binde aus dem Wickelpapier einen Ring, ich reiße eine freie Seite aus meinem alten „Meine Schulfreunde“-Buch und fülle es in Krakelschrift mit den aktuellen Informationen von mir aus. Was wünsche ich ihr für die Zukunft? „Ein langes und erfülltes Jahr mit mir“
Ein alter Ebay-Karton wird mit weiteren Magazinfetzen beklebt, mit altem Geschenkpapier ausstaffiert und dient als Schmuckkiste für meine Kriegskiste, wie ich sie taufe. Der kleine Plastik-Elefant, ein Button, eines meiner Lieblingsbücher und ein Spritzer Eau de Toilette. Den Spritzer bereue ich sofort, aber daran lässt sich auch nichts mehr ändern. Man muss auch mal da hingehen wo es weh tut, für die Liebe. Ich nicke.

In der Stadt, ich besorge noch „Benny und Joon“ auf DVD, einen Mini-Flasche Wein und zwei Plastikgläser, zwei Blaubeermuffins, lege alles in die Kriegskiste, verklebe sie und stehe um 15 Uhr vor ihrer Tür.
Brrrrt macht der Buzzer. Schnell renne ich dir Treppe hoch, bin so euphorisch, dass ich aufpassen muss, ihr vor Vorfreude meiner kleine Kiste nicht ins Gesicht zu werfen und renne ihrem Typen in die Arme.
„Was hast du es denn so eilig?“, bellt er mich an.
„Ich habe einen hyperaktiven Kreislauf, Mister“, bell ich zurück. „Schilddrüsenüberfunktion.“
Ich will ihn am liebsten gegen die nächste Wand klatschen. Was ist diese Kotkerbe überhaupt hier? Warum hat sie den bestellt, wenn ich sage, dass ich komme? Ich würde am liebsten mein Paket in den nächsten Mülleimer werfen.
Nein Nein Nein.

Durch atmen. Es ist Krieg. Ich muss cool bleiben. Ich grinse den Pinkel an. Svenja kommt aus der Küche und wirkt unglücklich. Sie verzieht den Mund, ich nicke.
„Ich habe dir was mitgebracht...“, sage ich, ohne ihrem Freund eines weiteren Blickes zu würdigen... „für die Hilfe beim Referat!“
„Ach, du bist doch verrückt“, sagte sie und ich merke, wie sie sich zusammen reißt, um nicht vor Freude zu platzen.
Sehr gut. Dann dreh ich mich doch zu ihm, lächle ihn an und denke „Du bist am Arsch, du Penner.“
„Das ist ja schon die zweite Überraschung, heute. Du hast ja 'nen richtigen Lauf, Schatz.“
Ich drehe mich zu ihm. Schatz. Du Penner.
„Aha?“
„Ja, ich hab sie heute auf nen Kurztrip nach Prag eingeladen.“
„Ach wie hübsch.“
Arschgesicht. Du kannst dir Prag in deinen Tuckenjeans-Arsch schieben.
„Ja, ich bin ein echtes Glückskind...“, nuschelt sie und lacht verlegen.
„Wann fahrt ihr denn?“
„Morgen!“, knallt er wie eine kleine Wasserpistole vor meine Stirn.
Svenja erklärt, dass sie kurz Kuchen holen möchte, so wie sie es in der Rück-SMS versprochen hatte. Meine Hoffnung, dass ihr Wackeldackel das Weite sucht, bleibt unerfüllt. Wir sind alleine in der Wohnung.
Zögerlich entwickelt sich zwischen uns ein Gespräch, er versucht immer wieder, herauszufischen, was ich über Svenja denke. Ganz so, als würde er riechen, dass ich so meine Absichten verfolgen. Ich bemühe mich, so wage und platonisch wie möglich zu klingen und zwischendurch erwische ich mich dabei, wie ich einzelne seiner Sätze und Anekdoten sympathisch finde. Der Köter will mich aufweichen, mich mürbe machen.
Ich flüchte auf die Toilette. Dort sitze ich dann und lese immer wieder die wenigen SMS, die wir bis jetzt ausgetauscht haben und hoffe, meine Moral dadurch zu stärken. Fünf Minuten vergehen, zehn. Er klopft an die Tür und fragt, ob alles okay sei. Ich schrecke schräg nach oben und knalle mit dem Gesicht gegen die Kante vom Waschbecken.
„Scheiße!!!“
„Was ist passiert?“, brüllt er von der anderen Seite.
„Scheiße!“, brüll ich zurück, „wer baut so enge Badezimmer?“
Ich blicke in den Spiegel. Kacke. Ein Veilchen. Als ich die Tür auf schließe empfängt mich sofort sein dreckiges Lachen.
„Ach du liebe... was hast du denn da veranstaltet?“
„Ich bin beim Aufstehen mit dem Gesicht gegen das Waschbecken geknallt.“
„Wie doof kann man eigentlich sein?“
„Wie? Doof? Was macht ihr da?“, hallt es aus dem Flur. Svenja kommt mit dem Kuchen rein, sieht mich an, sieht ihren Freund an, lässt den Kuchen fallen.
„Hast du sie noch alle stramm?"

3 Kommentare:

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  2. schade, dein kommentar hätte mich interessiert

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  3. ich schrieb, dass mir deine texte wahnsinnig gut gefallen und dass ich sehr gespannt bin, wie es weitergeht und wie torben die situation wohl aufloest!

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