Sonntag, 12. September 2010

Tag 5/4: „Warum trägt das Tier ein Halstuch? Ist der ein schwuler Cowboy, oder was?“

Ihr Fuß gleitet an meinem Bein hoch. Es fühlt sich kribbelig an, sie grinst weiter wie eine neckische Spielkatze aus einem sechziger Jahre Film. Mit oder ohne rotem Halsband, ganz egal, ihr Fuß wandert zu meinem knie, Anja fummelt sich in ihrem Haar herum während sie auf Gesichts-Standby überlegt, wie sie mich jetzt dazu überreden kann, nicht zu Svenja zu wollen.
„Ist doch auch nicht schlecht“, sagt sie plötzlich, „wenn man das mal so überlegt...“.
Marthas Fuß liegt auf meinem Knie als wir beide wie gefesselt und mit offenem Mund zu ihrer herüber blicken.
„Äh?“
„Ja, also wenn ich das Fahrrad hole und Mars nicht da ist...“
„Ääähh?“
Martha tritt mich, Anja will mich auch treten und bemerkt Marthas Bein, die sofort zusammen
zuckt.

„EY! Was kann ich dafür, wenn er es nicht schnallt?“, boxt sie Anja an.
Ich lehne mich zurück und weiß nicht, ob ich mich über die kurze Ablenkung freuen soll oder lieber das Minizeitfenster nutze, um darüber Klarheit zu beschaffen, was ich denn jetzt machen werde.
Svenja, Martha.
Wenn man einen Delphin im Vorgartenplantschbecken hat, wieso sollte man dann noch zum Fischen aufs Dach? Wieso will ich eigentlich immer jagen? Männer sind so primitiv Vin Diesel nach einem Reaktorunglück. Ich stelle mir vor, wie ich mich beim Sex mit Martha in Hulk verwandle, ganz kurz vorm Orgasmus und das Bett dadurch zusammen kracht.
„Urgh!“
„Urgh? Alles klar bei dir, Junge?“
„Hatte schon mal einer die Vorstellung, mit einer Comicfigur Sex zu haben?“
„Ja, mit Wolverine. Das weißt du doch, Mensch“, pflaumt mich Anja an und beginnt zu schwärmen, „RRRRR, Hugh Jackman. Yum Yum Yum.“
„Hugh Jackman? Nein, nein. Viel lieber Gambit, wenn wir schon bei den Xmen sind. Dann wäre ich Rogue. Der könnte mir gerne meine Kartentricks zeigen. Ja, ja.“
Ich haue auf den Tisch. „So, meine Damen: Anja geht heute das Fahrrad abholen und was wir zwei Hübschen machen, das sehen wir dann.“
Beide glitzern mich wie Zuckerelfen an.
„Gut, und wenn ich das Fahrrad hole und ihr mit eurem „sehen wir dann“ fertig seid, dann könnt ihr was für uns alle kochen und so weiter.“

„Kochen! Ja! Ich mach die besten Pirogen der Welt!“, jauchzt Martha, sie klatscht so in die Hand wie ich mir das eigentlich bei einer alten polnische Mama vorstelle, die beim Kuchen backen vor Freude an ihrem eigenen Handwerk begeistert in ihre vollgemehlten Hände klatscht. Doch Martha ist mit keinem Millimeter eine alte polnische Mama. Ihr rutscht das Handtuch runter, sie stoppt es leider kurz vor den Brustwarzen und zieht es wieder hoch. Ich schaue sie fassungslos und erregt an.
„Die besten was?“, greift Anja vor-freudig dazwischen.
„Pirogen. Kartoffelklöße mit Füllung.“
„Geil. Oder? Torben?“
„Äh? Geil? Ja.... Schuldig.“
„Hä?“
„Ja, wir machen das dann.“

Ich erinnere mich an einen Satz von meinem Vater, als er mal von der Arbeit nach Hause kam, ich war auf einen meiner seltenen Heimatbesuche und saß mit meiner Mutter in der Küche, wir redeten über Frauen in meinem Alter.
„Fressen, Ficken, Schlafen. So ein Studentenleben hätte ich auch gerne noch mal, fauler Sack.“
Damals hab ich das noch nicht so ernst genommen, er haut ja oft solche Schoten raus. Eine meiner Freundinnen hatte einen Hund und sie band ihm immer ein rotes Halstuch um. Als wir dann samt Hund auf ein Wochenende zu meinen Eltern fuhren, war sein erster Kommentar „Warum trägt das Tier ein Halstuch? Ist der ein schwuler Cowboy, oder was?“
Und guck uns jetzt an. Den ganzen Tag: Saufen, Feiern, Fressen, Labern. Ein einziges pinkneonfarbenes Sodom und Gomorrha, nur dass wir nicht vor einem Racheengel mit einem brennenden Schwert stehen sondern bestenfalls vor einem Bildschirm mit Darth Vader und Lichtschwert und die einzige Strafe sind länger werdende Werbeblöcke und unsere allgemeine übersättigte Trägheit.
Trägheit?

„Ja, komm Anja, dann zieh dich an und mach dich nützlich!“
„Pass mal auf, die Pascha...“. Sie merkt, dass ich gar nicht zu höre sondern auf Martha starre und mir überlege, was ich tun kann, damit sie nochmal in die Hände klatscht und ihr Handtuch noch ein Mal rutscht.
Gegen all meine Trägheitsvorstellungen beginne ich, mit meinen Fingern auf den Tisch zu trippeln und „Alle kleinen Kätzchen fliegen....“ zu singen, worauf Martha sofort mit einem inbrünstigem „Tüüüüf!“ einsteigt.
Ich tripple weiter auf die Tischplatte ein. „Alle Zuckerelfen mit Handtüchern fliegöööööön...“ und Martha reißt die Arme hoch und lacht laut „HOOOOCH“ und in genau diesem Moment rutscht ihr das Handtuch ab, runter bis zum Bauch. Ehe Martha rot werden oder Anja sich über das Schauspiel wundern kann, bemerken sie mein dreckiges Sieger-grinsen, das zu unterdrücken ich nicht im Stande bin.
„Ich muss weg. Ich muss HIER WEG“, nuschelt Anja, als sie aufsteht und kopfschüttelnd die Küche verlässt.

Ihren Abgang quittiere ich gar nicht.
Ich aber habe gerade nur Augen für Martha und zeige auf ihr Handtuch. „Trägst du das noch, oder kann das weg?“ Sie knurrt wohlwollend.
Wir entschließen kurzer Hand, gemeinsam die Dusche aufzusuchen.
Angespannt wie ein Ringseil marschieren wir schnurstracks herüber, ich schmeiße die Tür zu, die laut knallt und schließe hastig ab, ehe sie mich an eben jene drückt und ihre Zunge in meinen Hals schiebt.
Ich stehe kurz vor der Explosion, meine Finger stehen unter Vollstrom, mein Penis schlägt aus wie ein ausschwenkender Holztransport, ich ziehe ihr das Handtuch herunter. Die Dusche erreichen wir nicht.
Eine Stunde lang tummeln wir uns auf dem Boden, fallen wir immer wieder übereinander her, rangeln, beißen, küssen wir, geben uns immer wieder alles wie zwei gierige Wölfe, die sich nach Monaten in einem verlassenen Wald treffen.
„Wenn du nur halb so gut kochst...“
„Warte es ab, Bursche.“

Eine weitere Stunde später verlassen wir dann halbwegs geduscht und leicht erschöpft das Schlachtfeld um uns in der Küche eine Art Wegzehrung zu gönnen.
Mein Vater ist ein weiser Mann. „Ficken und Fressen“
Innig und so, als wären wir nicht gerade erst aus einer jungfräulichen Bekanntschaft über Nacht in eine Fickaffäre geschlittert, gehen wir innig und pärchenhaft ekelig grinsend einkaufen. Martha gibt mir einen kleinen Exkurs in die polnische Küche. An allen möglichen Lebensmitteln bleiben wir stehen, sie sagt, was man daraus machen könnten und in welchen großartigen, nicht zu überbietenden Varianten ihre Verwandten daraus bereits ein Festmahl gezaubert haben. Sie tritt über die gefährliche Schwelle, sagt mehrmals, dass ich das mal probieren müsste, dass ich irgendwann vielleicht mal mitkommen muss und dass ich ihre polnische Verwandtschaft, deren Trink- und Singgelage sicher mögen würde. Ich sei ja offener als der typische Deutsche. Ich mag das nicht, diese Vorausplanunungsschwellen, über die man nach einem schönen Tag zu zweit so schnell tritt, eine fatale Ader, die ich selber auch immer wieder besitze und mich frage, ob sie unterbewusst nur deshalb passiert, um dem ganzen schönen Moment ein monumentales Fundament zu gießen. Anstatt einfach nur eine Sache zu genießen, wollen manche Menschen alles verprunken und vergolden.
Martha greift nach meiner Hand, als wir am Kühlregal stehen und das Hackfleisch für die Füllung aussuchen. Und ich höre keine Alarmglocken. Es stört mich nicht. Ich sehe mich um, ich versuche, in mich zu gehen und zu horchen, ob mein Herzschlag sich nach einer Erkrankung anhört. Aber da ist nichts.
Verlieben sich hier gerade zwei Menschen? Oder ist das wirklich das Schauspiel, dass zu einer gelungenen Affäre zweier Klassenclowns, Platzhirsche, Verbalpfauen dazu gehört?

Auf dem nach Hause weg scheint die Sonne, ich trage die Tasche, Martha scheint meine Sorgen und Gedanken zu tragen, ich spüre nämlich etwas, was ich selten spüre. Die Wärme der Sonnenstrahlen auf meiner Nase, den Wind im Haar, die Kleinigkeiten, die man immer überhört oder über spürt, wenn man grübelt. Sie lästert über Studienkolleginnen, ich muss immer wieder lachen, während mir der Sommer auf den Pelz scheint. Gerade sind wir eine Festung. Vor der Haustür frage ich mich dann wieder, ob die Festung nur aus Styropor besteht wie die Festungen, die sie für Filme wie Herr er Ringe oder Star Wars basteln. Ob das ein Geschenk ist, wie die kleinen Päckchen, die als Deko am Weihnachtsbaum meiner Eltern hängen und ich als Kind immer enttäuscht war, wenn ich mich nicht zurückhalten konnte und sie auspackte.
Ich sollte dieses Paket nicht auspacken, ich sollte mir den Moment auf die Nase scheinen lassen. Brrr. Ich fühle mich kitschig und greife Martha an den Po. Wir schließen auf, schubsen die Einkaufstasche in den Flur und verschwinden wieder im Bad, bis es irgendwann an der Tür klopft.
Wir liegen auf dem Boden, unsere Haare zerwühlt. Sie steht zuerst auf, zieht sich ihr T-shirt über und huscht durch den Türspalt nach draußen.
Durch das Holz höre ich es raunen.
„Na toll, wolltet ihr nicht kochen? Seid ihr bis jetzt da drin gewesen?“
Was ist mit Anja los?
Scheiße. Vielleicht hat sie wirklich Stress mit Mars? Und wir machen hier die ganze Zeit rum, ohne Rücksicht?
Ich ziehe mir schnell meine Sachen an, fahre mir durchs Haar und komme auch heraus.
„Torbeeeeeen!!! Marrrrtthaaa!! Ich habe Hungeeeeeeer!“

Martha nickt eifrig, schnappt sie den Einkauf und rennt in die Küche, aus der sie brüllt
„Captain Weitzel auf der Brücke, es kann los gehen.“
„Komme sofort“, rufe ich hinterher.
Anja steht vor mir.
Ich fasse ihr auf die Schulter.
„Anja, Schatz. Ist alles in Ordnung?“
„Klar, mit mir schon.“
„Wirklich? Wenn es was wegen Mars ist, kannst du es mir sagen.“
Ich nicke zur Küchentür.
„Das kann auch alles warten.“
Anja seufzt in einer Mischung auf Erleichterung und Amüsiertheit.
„Dachtest du wirklich, ich habe Stress mit Mars? Nein. Ich vermiss ihn nur ein bisschen.“
„Echt... da bin ich... froh, dass das so ist.“
„Aber du, Torben?“
„Ja?“
„Rat mal, wen ich vorhin kennen gelernt habe...“

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