Sonntag, 5. September 2010

Tag 5/3: Ich stehe vor ihr, Anja zögert, das Donnergrollen der Götter zieht näher, zieht direkt über unserem Haus her. Das muss er sein, ich weiß es.

Einen Atemzug lang ist es Ewigkeit. Ich stehe vor ihr, Anja zögert, das Donnergrollen der Götter zieht näher, zieht direkt über unserem Haus her. Das muss er sein, ich weiß es. Der Zorn.

Anja verzieht ihre Schnute, gleich wird sie ansetzen und mir erklären, was für ein blöder, unentschlossener, feiger, allen ernsthaften Dingen sich nicht aussetzen wollender Idiot ich bin. Meine Unterarme sind überzogen von Hautpartikelstalaktiten. Frösteln.

Sie tritt auf mich zu. Ihre Augen. Ihre Hand fährt aus. Ich zucke zusammen, ziehe mein Gesicht leicht zur Seite und gucke verkniffen. Es ist wie damals, wenn ich eine Backpfeife meiner Mutter in erwartungsvollen Empfang nehmen musste.
"Also... "
"Also...?"
„Du machst das schon, Torben. Du bist ja schon groß.“
Anja lächelt feixend und klopft mir zartherb auf die Schulter.
Mein Blick mimt das Schlussverkaufschaufenster eines Euro-Allzweck-Discounters.
„Keine harte Pause. Go for it, Tiger.“

Sie klapst auf meinen Po, ich stolper zu Martha in mein Zimmer, die es sich auf der Bettkante im Rahmen ihrer Möglichkeiten gemütlich gemacht hat.
Sie raubt mir die Angst vorm Schweigen. „Setz dich!“, bittet Sie mich imperativ und klopft auf die Bettkante, ihre Pupillen halten meine dabei fest wie die Hand des Vaters die Hand seiner Tochter, als sie das erste Mal gemeinsam auf den Jahrmarkt gehen.

Ich lächle und werde rot.
„Wo waren wir, Madame?“
„Da?“
Ihr Oberarm rutscht gegen meinen, stubst ihn an, um keinen Raum für Spekualtionen zu lassen. Ich greife meine Hand und lasse sie über ihn wandern. Sie lächelt ebenfalls, bloß ohne die Röte. Souveräne Lady. Oho. Als sie näher rutscht und ihre Hand über meine Schulter legt, stoppt alles.
„Du zitterst ja?“
Ich rutsche Millimeter weit zurück, nur Millimeter, um ihnen keinen Bedeutungshorizont zu geben.
„Du machst mich... .“
„Nicht schlimm!“

Martha. Ich würde ihr gerne erzählen, wie es sich gerade anfühlt. Nein. Ich würde gerne ihre Augen nehmen und in meine Kopffassung schrauben, damit sie durch meine Augen das Gefühlskino live und in Stereo sehen, erleben, verstehen kann. Sehe mich, wie ein Glasgefäß, gierig und sehnsüchtig und unsicher, ob es die M&Ms, zu deren Befüllung es vorgesehen war, auch aufnehmen kann, ohne zu brechen. Ob es nur um das Befüllen geht oder um das Miteinander von Glas und Schokonussspezialität.
„Reiß dich zusammen“, flüster ich mir ein. Nein, es macht keinen Sinn, ihr so etwas zu sagen. Wenn man so frisch ist, soll man sich nicht mit Sorgen und Schwächen plagen, da soll man die Zeit genießen, oder nicht? Ein ehrlicher Start ist ein bester? Gut, das wäre ja angesichts der Gesamtlage eh nicht mehr möglich. Mein Kopf rattert, mein Herz zattert.

„Ganz ruhig“, sagt sie und lacht. Sie ist gerade so widerlich perfekt. Anja sagt mir oft, meine Eskapaden scheiterten an meinen überzogenen Ansprüchen an die Romantik, der keine Frau, kein Mensch standhalten könnte. Martha aber ist jetzt gerade der Fels in der Romantikbucht. Caspar David Friedrich wäre der perfekte Mann für diese Momentaufnahme. Caspar, du Rocker.
Kuss. Mein Herz rast. Die Lippen suchen sich, dann die Finger, wie öffnen und schnell und lassen uns fallen. Dann lieben wir uns lange und der Schweiß macht uns gleich. Sie ist schön, ich fühle mich so. Wer ist irgendwer, was ist irgendwas? Gar nichts mehr. Gedankenleer liegen wir nebeneinander.
Morgens sticht die Sonne durch das ungeschützte Fenster, ich winde mich zu Seite, die Seite ist leer.
Zwei grübelnde Haarwühler später liegt immer noch keine Martha neben mir. Blick zur Decke.

So viel hatte ich doch gar nicht getrunken? Ich drehe mich zur Seite, richte mich auf. Ihre Kleidung liegt auf dem Boden... gut. Ich schnappe mir eine Jeans und ein Shirt und wandere in die Küche, in der Anja mich mit breitestem Flutlichtgrinsen empfängt.
„Na Champ? War es noch gut?“
„Mhm“, raune ich und gucke in den Kühlschrank.
„Jetzt lass aber mal die Milchkuh auf der Wiese. Alles gut?“
„Ich gucke gerade im Kühlschrank, ob Martha da ist. In meinem Zimmer ist sie jedenfalls nicht.“
„Die ist duschen, du Morgenmuffel-Casanova. Krieg ich Details? Na?“
„Wieso bist du überhaupt schon wach? Bist du nicht ein bisschen zu neugierig für diese Uhrzeit?“
„Es ist elf?“
„Elf?“
„WAR ES GUUUT?“

Ich nicke und sie bohrt mit Blicken nach, bis ihr Stirnfalte pulsiert.
„Atme durch, meine Güte. Es war gut, mit … Martha.“
"Schön soweit. Und du machst dir gestern noch Sorgen... . Wenn du willst, geh ich mir mein Fahrrad dann nachher selber abholen, wenn du mir sagst, wo es steht.“
„Das mach ich schon... sehr nett von dir, trotz alle dem.“
„Nee, du kannst den Tag doch anders nutzen. Mietz. Mietz.“
„Nee. Ich mach das schon. Ich... ich muss ja auch mal für meine Taten Verantwortung übernehmen.“
Anja lächelt kurz.
„Gut, gut. Verantwortung.“
„Verantwortung für was?“
Martha steht im Türrahmen und schaut uns an.
„Wenn man Kühe auf der Wiese hat, muss man sie selber melken und nicht immer die Anja rausschicken.“
„Mit Kühen meinst du Frauen?“
„Mit Kühen meine ich abstrakte Beispiele für etwas, was eigentlich keinen Sinn ergeben soll. Wir reden morgens gerne wirren Scheiß.“
„So So.“

Ehrlich zugegeben war mein zweiter Gedanke nach dem Wach werden, wieso ich denn diese Nacht mit Martha, die ich kaum kenne, geschlafen habe und nicht etwas mit Svenja, die mir auch heute Morgen wieder durch den Kopf spukt. Doch jetzt steht Martha vor mir und hat nichts als ein großes blaues Handtuch aus der Anja-Kollektion um den Körper und nasses Haar, der Pony fällt ihr frech ins Gesicht. Ich schnurre aus Versehen, sie bedankt sich grinsend dafür und drückt mir einen kurzen Kuss auf die Lippen, ehe sie sich zu ihrer Tasse gesellt, die man ihr wohl vor dem Duschgang übereignet hat.
„Hi hi, in dem Tuch siehst du so feucht aus wie ein Delphin!“ jauchzt Anja in ihrer halbschlafenen Kecke. Martha beginnt, sich von oben bis unten selbst zu mustern, während ich daran denke, dass es in den 90ern einen Comedy-Beitrag gab, in dem der junge Timmy eine erotische Beziehung zu Flipper hatte. Ich schaue ebenfalls an Martha runter und taufe mich selber kurz Timmy.

„Was machen wir denn heute schönes? Oder hast du etwas vor?“
„Torben muss nachher mein Fahrrad abholen. Aber ich würde es auch selber machen. Zumindest, wenn ihr was miteinander unternehmen wollt.“
Wie ein Tjostier fährt sie mir in die Planke. Das Stück. Beide sehen sie mich an wie eine DDR Ermittlungskommission. Das ist der kleine Zorn der Götter. Anja muss blinzeln, während sie versucht, mich nicht triumphierend auszulachen. Ich versuche, sie unter dem Küchentisch zu treten, streife aber an Marthas Bein ab, die sofort meinen Fuß beschlagnahmt und mit ihren Zehen streichelt. Sollen mich doch die Götter holen. Ich luge blitzschnell nach oben. Keine Götter. Hm.

Was mach ich denn nun? Kein Götterzorn, vielleicht ein Götterfunke? Kann mir einer sagen, was jetzt mal eine erwachsene, kluge Entscheidung wäre, die ich nicht bereue?
Ich schaue Martha fragend an. Sie grinst.

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