Sonntag, 22. August 2010

Tag 5: So sitze ich dann alleine in der Küche und stochere auf zwei traurigen Scheiben Toastbrot herum

Vor mir liegt ein Haufen an Fragen. Das erinnert mich an meine Kindheit. Samstags habe ich es gehasst, aufzustehen, weil ich wusste, ich müsste den Hof fegen, das Laub oder einfach den Staub von einer ganzen Woche zusammenfegen.

„Damit die Leute nicht gucken“, hat meine Mutter dann gesagt. „Und wenn sie gucken, was dann?“, habe ich geantwortet, worauf sie mir schnippig mit „Werd’ mal nicht frech“ über den Mund fuhr, ich aber erst recht frech wurde.

Ich malte ihr aus, wie schön es doch wäre, wenn ich all das Laub eben nicht wegfegen würde und es sich mit dem Staub vermischte und dann der Wind käme und es vor die Häuser der ach so feinen Nachbarn wehte. „Die müssten dann alle vor ihrer eigenen Tür kehren“, sagte ich dann zu ihr „jetzt weißt du auch, woher der Ausdruck kommt.“

Meine Mutter führt ein spießiges Leben, weil sie es hasst, wenn die Leute etwas denken könnten. Dabei denkt sie selbst am meisten nach. Das wiederum habe ich von ihr geerbt.
Aber bin ich spießig?

Es ist jedenfalls nicht Samstag, ich bin auch kein Kind mehr, mein Elternhaus ist in weiter Ferne und anstelle von Staub und Laub liegen vor meiner Haustür nur Fragen. Vielleicht sollte ich sie zu Anja rüber fegen, damit sie mir damit helfen kann.

Ich fasse an meinen Kopf. Kein Kater. Komisch. Ich schlief nicht wie ein Stein, ich schlief nicht mal wie ein Wattebausch, das davon träumt, mit einem Stein auszugehen. Ich habe einfach ganz normal geschlafen. Das bereitet mir Sorgen, nicht gesundheitlich, eher emotional. Fang ich jetzt schon damit an, dass mir Dinge egal werden? Dann würde ich ja jetzt nicht darüber nachdenken. Bevor in meinem Kopf wieder eine Gilmore Girls Folge beginnt entschließe ich mich für das Richtige: Frühstück.

So sitze ich dann alleine in der Küche und stochere auf zwei traurigen Scheiben Toastbrot herum, während das Frühstücksfernsehen mir attraktive und gewagte Dekotips für den nahenden Spätsommer näherbringen möchte. Gewagte Dekotips. Was an bunten Kürbissen gewagt ist, frage ich mich glaube ich zurecht. Ich weiß garnicht, wieso wir Deutschen Kürbisse zum dekorieren benutzen, aber man nirgends Kürbisse zum Essen sieht, mit Ausnahme der Tütenkürbissuppe von Maggi und manchen Folgen vom perfekten Dinner. Ob die Tütensuppe allerdings wirklich nach Kürbis schmeckt, davon habe ich keine Ahnung, Vermutlich nicht. Und gewagt ist es wahrscheinlich, weil wir Lebensmittel zum dekorieren benutzen, die in anderen Ländern Kinder vor dem Hungertot bewahren könnten. Nächstes Jahr an Oster dann gewagte Dekotips mit Aidsmedikamenten und Trinkwasser.

Marcel Reich-Ranicki hat einmal im Fernsehen auf die Frage, was er zu den olympischen Spielen in China sagen möchte, geantwortet, dass zu viele Menschen über Dinge sprächen, von denen sie keine Ahnung hätten. Ich habe ihm da sofort grinsend Recht gegeben, doch jetzt gerade, wo ich hier so alleine vor dem traurigen Toast sitze, den nur noch eine ordentliche Scheibe Kinderwurst retten würde und mich selbst innerlich sprechen höre, glaube ich, wenn wir das so wirklich streng durchsetzten, dann müsste ich meinen Kopf zu Gunther von Hagen schicken, damit er ihn mit Plastinade füllt. Wenn du willst, dass etwas ordentlich getan wird, lass es jemanden tun, dem man alles zutraut. Und die beiden Werbeflächen der Kosmetikindustrie im Frühstücksfernsehen müssten sich einen neuen Job suchen.

Aber ich mag das Geschwätz über Boris Beckers neue Freundin und Johann Lafers Vollkornbrotüberraschung und wenn es mich interessiert, dann hat es eine Daseinsberechtigung. Oder etwa nicht?

„Denkst du wieder über Schwachsinn nach?“, höre ich Anja plötzlich sagen, als sie links an mir vorbei in Richtung Kühlschrank zieht und sich ein Mango-Lassi herauszaubert. Ich möchte zu gerne wissen, wie sie das wieder gemerkt hat, aber den Sieg gönne ich ihr nicht.

„Das würde ich nie tun. Ich träume nur davon, dass Johann Lafer mal morgens für uns das Frühstück machen könnte. So einen eigenen Johann Lafer, der wie der Dentagard-Biber grinsend den ganzen Tag für uns kocht. Das wäre doch super.“
„Aber wir haben doch Mars.“
„Aber Mars ist doch gestern zu seinen Eltern gefahren?“
„Ja, und er meinte, du hättest dich auch verabschieden können, aber du warst ja zwischendurch weg.“
„Ich habs verpeilt.“
„Du Verpeiler. Du bist die ganzen letzten Tage ein bisschen abwesend“, sagt sie und setzt sich zu mir an den Tisch. „Was ist denn überhaupt los, Schatz? Ich bilde mir ein, du wolltest mir da noch etwas groß und breit erklären, wegen gestern?“

Jetz hatte ich gerade mit Hilfe des Fernsehers meinen Fragehaufen beiseite geschafft, da wühlt sie ihn wieder auf. Nagut, dann wird sie auch beim Abtragen helfen.

„Aaaaaalso“, beginne ich und fange an, ihr die vertrackte Situation detailliert und minutiös darzulegen, merke, wie ich selber manchmal erneut ins Schwärmen gerate, mir an manchen Stellen selbst auf die Schulter klopfen könnte. Und es wird mir bewusst, wie verzwickt die Angelegenheit für mich ist. Svenja vermeidet wirklich immerzu, Tom mir gegenüber auch nur zu erwähnen.
„Hmmm... “, raunt Anja dann in meine Richtung, als ich ihr den Gesamtüberblick präsentiert habe. „Hmmm…?“, raune ich fragend zurück, „du bist die Frau, erkläre mir, was da Sache ist.“
„Jetzt weiß ich zumindest, wieso du der Martha abgesagt hast.“
„DAS ist das Erste, was dir dazu einfällt?“
„Klar, ich hab die beiden doch extra wegen dir eingeladen, du Schnösel. Was dachtest du denn, warum sie direkt so offen war?“
„Das hättest du mir auch mal vorher sagen können?“
„Du lässt dir doch nie etwas sagen!“
„PA! Also bitte? Ich leg dir hier die ganzen vergangenen Tage offen wie meine Brust und du fährst die Krallen aus und kratzt drüber anstatt mir zu sagen, ob die Verletzung tief geht oder ober das alles nur oberflächlich ist und ich mich unnötig sorge.“
„Was wirst du denn gleich so melodramatisch? So kenn ich dich ja garnicht! Ich fand das halt schade. Die würde gut zu dir passen, sie hat mir auch hinterher gesagt, dass sie dich mag. Aber naja. Und überhaupt, was glaubst du denn, wieso wir alle euer Geflirte ignoriert haben? Damit da mal was passiert!“
„Geflirte? Ich habe doch garnicht…!“
„Torben. Jetzt spiel hier mal nicht das kleine Schaf von der Wiese.“
„Man. Ich weiß auch nicht. Aber hier. Zurück zu Svenja. Ich mag sie. Wirklich. Irgendwie. Du musst mir mal helfen! Was soll ich tun?“

„Ganz ehrlich? Punkt eins. Ja, ich weiß, du bist im trotz deiner nervenzerhäckselnden Gedankenklauberei ein guter Mensch und wenn du sie wirklich magst, wenn das wirklich so gelaufen ist, wie du es mir schilderst, dann ist sie vermutlich auch ein guter Mensch. Punkt zwei. Wenn sie auch ein guter Mensch ist, dann ist Tom bestimmt kein schlechter Mensch. Das führt zu Punkt drei. Dann nämlich wird sie ihn sicher nicht leichtfertig verlassen. Selbst wenn sie dich mag, und es scheint mir schon so, als ob sie dich mag, stehen die Chancen beschissen. Beschissen, Torben. Nicht, weil mit dir irgendetwas nicht stimmen würde, sondern, weil man jemanden, mit dem man zusammen ist, nicht wegen einem noch so spannenden Menschen mal eben verlässt. Vielleicht ist sie ja verwirrt? Vielleicht hat sie das ja auch alles überrascht? Dich hat es ja auch überrumpelt.“
Ich überlege. Ich überlege wirklich hart. Zwei Minuten, fünf Minuten, immer wieder will ich zu einem Satz anlegen, breche aber erneut ab. Am liebsten würde ich mich auf den Boden schmeißen, mit beiden Händen auf die Fliesen trommeln und brüllen „Aber ich will!“.

Das hat vielleicht bei meiner Mutter früher funktioniert, damit die Leute nicht gucken. Aber der Welt ist es egal, ob die Leute gucken.
Ich seufze.

„Torben. Du weiß, dass ich dich liebe und dass ich dir das nicht sagen würde, wenn ich dächte, es gäbe auch eine andere Wahrheit.“
„Und du bist dir da sicher?“
Anja nickt und schiebt ihre Hand auf meine. Ich kneife die Augen kurz verbissen zu. Dann lächle ich sie an.
„Also Martha?“, sage ich.
„Ganz bestimmt“, antwortet sie.
„Ich habe dann für den Moment nur noch eine weitere Frage, die mir auf dem Herzen brennt, Anja. Und du musst bitte ehrlich mit mir sein.“
„Immer doch, Schatz. Was ist denn?“
„Was ist daran gewagt, mit Kürbissen zu dekorieren und warum werden die nirgendwo zum Essen verkauft?“
„Aaaaaaaah! Torben Sunev!!! Du bist… du bringst irgendwann nochmal alle in die Klapse!“
„Aber mal ehrlich, sag es mir.“ Ich bemühe einen unschuldigen, naiven Häschenblick.
„Kürbisse gibt es überall zu kaufen, du musst nur mal deine Augen aufmachen. Weißt du was? Wir gehen gleich mal in den Supermarkt und schauen, ob es welche gibt und dann gucken wir, was wir damit kochen.“
„Und dann lädst du Martha zu uns zum Essen ein?“
„Nein, das machst du mal schön selbst!“
„Oke!“
„That’s my boy.“

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